STEVEN WILSON - Art Rock mit Jazz-Anleihen live in Köln Hot
Nico Steckelberg
30. Oktober 2011
Bericht
Künstler
Veranstaltungsort
Location
Veranstaltungsdatum
27. Oktober 2011
Hörspiegel-Bericht
Text: Nico Steckelberg
Fotos: Markus Skroch, Nico Steckelberg
Ein tiefes Dröhnen hüllt bereits den Vorplatz der Live Music Hall in Köln an diesem herbstlichen Abend ein. Es klingt von außen beinahe so, als würde eine große Maschine im Inneren des Konzertsaals im Standby-Modus darauf warten, in Betrieb genommen zu werden.
Im inneren der Halle: ein bereits zahlreich in Position gegangenes Publikum vor einem meterlangen weißen Tuch, das die Bühne auf ganze Länge verhüllt. Auf dieses Tuch wird ein Bild projiziert: Eine triste Landschaftsaufnahme in Sepia. Im Innern der Halle ist das Wummern noch lauter, es kommt aus den Lautsprecherboxen und gehört offenbar zum visuell-akustischen Konzept des Konzerteinlasses.
Das Bild verändert sich, wird zum Standbild eines schwarz-weißen Strandes. Im Vordergrund: Eine in ein Tuch eingewickelte Gestalt (?). Dann wird dem Betrachter der Irrtum bewusst – es ist kein Standbild. Das Bild bewegt sich. Und das nicht ausschließlich deshalb, weil das Tuch durch den Luftzug der Bühnenventilatoren in leichte Schwingung gebracht wird. Die Wellen im Hintergrund branden an der Küste, das Tuch im Vordergrund bewegt sich im Wind, der von der See heran geweht wird. Und immer noch ist dieses tiefe Wummern zu vernehmen, in das sich nach und nach andere Geräusche hineinmischen. Sind da leise Stimmen? Ist dort Wind zu hören? Ich kann es nicht genau sagen.
Das Bild hält den Beobachter in seinem Bann, die dröhnenden Klänge wirken beinahe hypnotisch. Alle 5 bis 10 Minuten wechselt die Perspektive des Bildes auf der Leinwand. Manchmal sieht man das vorherige Bild aus anderer Perspektive, manchmal ein gänzlich anderes.
Als eine Aufnahme erscheint, die wie eine Erinnerung eines Blicks aus einem Fenster auf ein kleines Waldstück wirkt, kommt ganz langsam und unbemerkt ein neues Geräusch hinzu: ein rhythmisches, dumpfes Schlagen einer tiefen Trommel. Und auf dem Bild? Hat sich da nicht gerade ein Schatten bewegt? In der Tat: In einer behäbigen Langsamkeit löst sich der Umriss einer mannsgewordenen Schwärze vom Hintergrund. Eine Gestalt. Hat sie uns schon die ganze Zeit beobachtet? Ist sie schon da seit das Bild auf die Leinwand geworfen wird? Eine gespenstische Atmosphäre, einem morbiden japanischen Horrorfilm-Szenario nicht unähnlich. Bedrückende Gefühle, als die Gestalt die Leinwand zur rechten Seite hin verlässt … und panisches Entsetzen, als sie eine gefühlte Ewigkeit voller furchtbarer Vorahnung unvermittelt und langsam, aber dafür um ein vielfaches näher (direkt vor unserem Fenster) erscheint! Dort bleibt sie stehen und starrt uns aus der Schwärze ihres Umrisses heraus an. Ohne Augen. Einfach so.
Das Schlagzeug setzt ein. Ein progressiver Beat, der sich immer wieder unterbricht. Dann der Bass. Keyboards setzen ein, dann die Gitarren und eine Querflöte. Alles passiert langsam und sich entwickelnd. Und schon in diesem ersten Stück zeigt sich, in welche Richtung es bei diesem Konzert gehen wird: Es wird progressiv, jazzig, rockig, groovy und heavy zugleich. Kann man sich nur schwer vorstellen? Willkommen, hier ist Steven Wilson.
Während des Openers verbleibt die Leinwand vor der Band hängend. Wer mag, fokussiert die schwarz-weißen Bilder im Vordergrund, wer mag, schaut durch den Film hindurch auf die Band. Nach dem Opener begrüßt Wilson sein Publikum mit tiefergepitchter und verzerrter Stimme: „Good evening, welcome. I am … a collector.“ Sprach er und vollzieht barfuß seine spastisch anmutenden, beinahe unkoordinierten Körperbewegungen während die elektronischen Beats des Songs „Index“ erschallen. Dazu Bilder von Schmetterlingen, defekten Puppen in verfallenen Gärten, braune-beige Sepiafarben, schwarz-weiße, verzerrte und unscharfe Bilder von Masken und Menschen irgendwo zwischen dem Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts. „Index“ ist mit seiner Mischung aus Elektronik, gänsehauterzeugender Thematik und den passenden, geisterhaften Bildern auf der Leinwand vor der Band eines der Highlights des Konzerts.
Ein ganz hervorragendes Pianosolo leitet das Stück „Deform to form a Star“ ein, ein balladeskes Stück, das man sich so auch von Wilsons Bandprojekten „Porcupine Tree“ oder „Blackfield“ vorstellen könnte.
Erst am Ende dieses Stückes fällt der Vorhang und das Publikum bekommt endlich den uneingeschränkten Blick auf die Band. Im Hintergrund werden weiterhin Projektionen angezeigt, so dass das Auge viel zu sehen bekommt. Diese visuelle Unterstützung transformiert die Songs von Steven Wilsons Solo-Projekt auf eine höhere Ebene. Die Stücke basieren nicht ausschließlich auf einer starken Melodie, sondern mindestens zum gleichen Teil auf Technik und atmosphärischer Entwicklung. Und das kommt hier voll zur Geltung.
Die Musiker des Live-Lineups sind genial! Die Drumbeats sitzen, wo sie hingehören, auch in den schwierigsten progressiven Passagen. Die Keyboard-Soli kann man im Kopf so gerade eben nachvollziehen, hier werden sie live gespielt. Und Wilson selbst legt seine sanfte jugendliche Stimme über dieses fragile und spielfreudige Webwerk, setzt sich an sein selbstgebautes Melotron mit Laptop-Anschluss oder schlägt in die Saiten seiner Gitarren.
Aber auch die Liebhaber eingängigerer Songs kommen auf ihre Kosten. So zum Beispiel beim Stück „Postcard“.
Doch das Publikum hat so seine Probleme mit dem Konzert. Blickt man in die Gesichter der Zuschauer, so merkt man, wie zufrieden sie mit dem Gesehenen und Gehörten zu sein scheinen. Aber nur einige wenige wippen mit. Das liegt vermutlich daran, dass es sehr schwer ist, den Takt der Stücke vorherzusagen. Wer Wilsons Alben „Insurgentes“ und „Grace for Drowning“ nicht vorher gehört hat und die Songstrukturen kennt, hat keine Chance zum Headbangen oder Mitwippen. Zudem wirkte das gesamte Konzert distanziert. Routiniert, genial gespielt, atmosphärisch dicht und geisterhaft schön. Aber sehr kalt und unfamiliär. Beinahe so, als wäre die Leinwand nicht im ersten Viertel des Konzerts gefallen sondern wäre die gesamte Zeit aufrecht gewesen.
Wer für die Musik gekommen ist, der wird belohnt. Hier gibt es musikalisches Können in Perfektion, vermischt mit einigen schönen Melodien und fantastischen Solo-Passagen der diversen Musiker. Auch die Show ist gut einstudiert, vielleicht hier und da ein wenig zu „over“ (wenn z. B. die Gitarre mit den Zähnen gezupft wird oder mit Laserpointern an den Fingern eine neongrüne durchsichtige Plexiglasgitarre gespielt wird). Ein Hingucker aber allemal!
Das Kernstück des Konzerts ist im Übrigen – ebenso wie auf Wilsons aktuellem Album „Grace for Drowning“ - das über 20-minütige Werk „Raider II“ mit einigen Free-Jazz-Saxophon- und –Klarinetteneinlagen, das von einem „very nasty man“ handelt. Das Stück endet wie der Opener begonnen hat: Nach und nach nehmen die Musiker ihre Instrumente aus dem Stück heraus und verlassen die Bühne.
Im Verlauf der einzigen Zugabe erscheint Wilson mit einer Gasmaske auf Kopf und spielt vor einer projizierten Feuerwand. Der Höhepunkt eines befremdlichen Konzertabends.
Befremdlich, weil die Musik so reizvoll komplex und ihre Darbietung so unverschämt gekonnt wirkten und man als Zuschauer trotzdem das Gefühl nicht loswird, dass der Funke zwischen Künstler und Publikum nicht vollends übersprang. Dieses Gefühl geht jedoch vollständig einher mit den geisterhaften Bildern und Stimmungen der Songs. In dieser Beziehung geht das Konzept voll auf. Auf jeden Fall sehens- und hörenswerte Musik.
Fotos: Markus Skroch, Nico Steckelberg
Ein tiefes Dröhnen hüllt bereits den Vorplatz der Live Music Hall in Köln an diesem herbstlichen Abend ein. Es klingt von außen beinahe so, als würde eine große Maschine im Inneren des Konzertsaals im Standby-Modus darauf warten, in Betrieb genommen zu werden.
Im inneren der Halle: ein bereits zahlreich in Position gegangenes Publikum vor einem meterlangen weißen Tuch, das die Bühne auf ganze Länge verhüllt. Auf dieses Tuch wird ein Bild projiziert: Eine triste Landschaftsaufnahme in Sepia. Im Innern der Halle ist das Wummern noch lauter, es kommt aus den Lautsprecherboxen und gehört offenbar zum visuell-akustischen Konzept des Konzerteinlasses.
Das Bild verändert sich, wird zum Standbild eines schwarz-weißen Strandes. Im Vordergrund: Eine in ein Tuch eingewickelte Gestalt (?). Dann wird dem Betrachter der Irrtum bewusst – es ist kein Standbild. Das Bild bewegt sich. Und das nicht ausschließlich deshalb, weil das Tuch durch den Luftzug der Bühnenventilatoren in leichte Schwingung gebracht wird. Die Wellen im Hintergrund branden an der Küste, das Tuch im Vordergrund bewegt sich im Wind, der von der See heran geweht wird. Und immer noch ist dieses tiefe Wummern zu vernehmen, in das sich nach und nach andere Geräusche hineinmischen. Sind da leise Stimmen? Ist dort Wind zu hören? Ich kann es nicht genau sagen.
Das Bild hält den Beobachter in seinem Bann, die dröhnenden Klänge wirken beinahe hypnotisch. Alle 5 bis 10 Minuten wechselt die Perspektive des Bildes auf der Leinwand. Manchmal sieht man das vorherige Bild aus anderer Perspektive, manchmal ein gänzlich anderes.
Als eine Aufnahme erscheint, die wie eine Erinnerung eines Blicks aus einem Fenster auf ein kleines Waldstück wirkt, kommt ganz langsam und unbemerkt ein neues Geräusch hinzu: ein rhythmisches, dumpfes Schlagen einer tiefen Trommel. Und auf dem Bild? Hat sich da nicht gerade ein Schatten bewegt? In der Tat: In einer behäbigen Langsamkeit löst sich der Umriss einer mannsgewordenen Schwärze vom Hintergrund. Eine Gestalt. Hat sie uns schon die ganze Zeit beobachtet? Ist sie schon da seit das Bild auf die Leinwand geworfen wird? Eine gespenstische Atmosphäre, einem morbiden japanischen Horrorfilm-Szenario nicht unähnlich. Bedrückende Gefühle, als die Gestalt die Leinwand zur rechten Seite hin verlässt … und panisches Entsetzen, als sie eine gefühlte Ewigkeit voller furchtbarer Vorahnung unvermittelt und langsam, aber dafür um ein vielfaches näher (direkt vor unserem Fenster) erscheint! Dort bleibt sie stehen und starrt uns aus der Schwärze ihres Umrisses heraus an. Ohne Augen. Einfach so.
Das Schlagzeug setzt ein. Ein progressiver Beat, der sich immer wieder unterbricht. Dann der Bass. Keyboards setzen ein, dann die Gitarren und eine Querflöte. Alles passiert langsam und sich entwickelnd. Und schon in diesem ersten Stück zeigt sich, in welche Richtung es bei diesem Konzert gehen wird: Es wird progressiv, jazzig, rockig, groovy und heavy zugleich. Kann man sich nur schwer vorstellen? Willkommen, hier ist Steven Wilson.
Während des Openers verbleibt die Leinwand vor der Band hängend. Wer mag, fokussiert die schwarz-weißen Bilder im Vordergrund, wer mag, schaut durch den Film hindurch auf die Band. Nach dem Opener begrüßt Wilson sein Publikum mit tiefergepitchter und verzerrter Stimme: „Good evening, welcome. I am … a collector.“ Sprach er und vollzieht barfuß seine spastisch anmutenden, beinahe unkoordinierten Körperbewegungen während die elektronischen Beats des Songs „Index“ erschallen. Dazu Bilder von Schmetterlingen, defekten Puppen in verfallenen Gärten, braune-beige Sepiafarben, schwarz-weiße, verzerrte und unscharfe Bilder von Masken und Menschen irgendwo zwischen dem Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts. „Index“ ist mit seiner Mischung aus Elektronik, gänsehauterzeugender Thematik und den passenden, geisterhaften Bildern auf der Leinwand vor der Band eines der Highlights des Konzerts.
Ein ganz hervorragendes Pianosolo leitet das Stück „Deform to form a Star“ ein, ein balladeskes Stück, das man sich so auch von Wilsons Bandprojekten „Porcupine Tree“ oder „Blackfield“ vorstellen könnte.
Erst am Ende dieses Stückes fällt der Vorhang und das Publikum bekommt endlich den uneingeschränkten Blick auf die Band. Im Hintergrund werden weiterhin Projektionen angezeigt, so dass das Auge viel zu sehen bekommt. Diese visuelle Unterstützung transformiert die Songs von Steven Wilsons Solo-Projekt auf eine höhere Ebene. Die Stücke basieren nicht ausschließlich auf einer starken Melodie, sondern mindestens zum gleichen Teil auf Technik und atmosphärischer Entwicklung. Und das kommt hier voll zur Geltung.
Die Musiker des Live-Lineups sind genial! Die Drumbeats sitzen, wo sie hingehören, auch in den schwierigsten progressiven Passagen. Die Keyboard-Soli kann man im Kopf so gerade eben nachvollziehen, hier werden sie live gespielt. Und Wilson selbst legt seine sanfte jugendliche Stimme über dieses fragile und spielfreudige Webwerk, setzt sich an sein selbstgebautes Melotron mit Laptop-Anschluss oder schlägt in die Saiten seiner Gitarren.
Aber auch die Liebhaber eingängigerer Songs kommen auf ihre Kosten. So zum Beispiel beim Stück „Postcard“.
Doch das Publikum hat so seine Probleme mit dem Konzert. Blickt man in die Gesichter der Zuschauer, so merkt man, wie zufrieden sie mit dem Gesehenen und Gehörten zu sein scheinen. Aber nur einige wenige wippen mit. Das liegt vermutlich daran, dass es sehr schwer ist, den Takt der Stücke vorherzusagen. Wer Wilsons Alben „Insurgentes“ und „Grace for Drowning“ nicht vorher gehört hat und die Songstrukturen kennt, hat keine Chance zum Headbangen oder Mitwippen. Zudem wirkte das gesamte Konzert distanziert. Routiniert, genial gespielt, atmosphärisch dicht und geisterhaft schön. Aber sehr kalt und unfamiliär. Beinahe so, als wäre die Leinwand nicht im ersten Viertel des Konzerts gefallen sondern wäre die gesamte Zeit aufrecht gewesen.
Wer für die Musik gekommen ist, der wird belohnt. Hier gibt es musikalisches Können in Perfektion, vermischt mit einigen schönen Melodien und fantastischen Solo-Passagen der diversen Musiker. Auch die Show ist gut einstudiert, vielleicht hier und da ein wenig zu „over“ (wenn z. B. die Gitarre mit den Zähnen gezupft wird oder mit Laserpointern an den Fingern eine neongrüne durchsichtige Plexiglasgitarre gespielt wird). Ein Hingucker aber allemal!
Das Kernstück des Konzerts ist im Übrigen – ebenso wie auf Wilsons aktuellem Album „Grace for Drowning“ - das über 20-minütige Werk „Raider II“ mit einigen Free-Jazz-Saxophon- und –Klarinetteneinlagen, das von einem „very nasty man“ handelt. Das Stück endet wie der Opener begonnen hat: Nach und nach nehmen die Musiker ihre Instrumente aus dem Stück heraus und verlassen die Bühne.
Im Verlauf der einzigen Zugabe erscheint Wilson mit einer Gasmaske auf Kopf und spielt vor einer projizierten Feuerwand. Der Höhepunkt eines befremdlichen Konzertabends.
Befremdlich, weil die Musik so reizvoll komplex und ihre Darbietung so unverschämt gekonnt wirkten und man als Zuschauer trotzdem das Gefühl nicht loswird, dass der Funke zwischen Künstler und Publikum nicht vollends übersprang. Dieses Gefühl geht jedoch vollständig einher mit den geisterhaften Bildern und Stimmungen der Songs. In dieser Beziehung geht das Konzept voll auf. Auf jeden Fall sehens- und hörenswerte Musik.