Die Ermordung des Commendatore Band I: Eine Idee erscheint

Die Ermordung des Commendatore Band I: Eine Idee erscheint Hot

Nico Steckelberg   13. Mai 2018  
Die Ermordung des Commendatore Band I: Eine Idee erscheint

Hörbuch

Autor(en) oder Hrsg.
Sprecher
Erscheinungsjahr
Format
CD
Anzahl Medien
11

Rückentext

Der Held des neuesten Romans von Haruki Murakami, ein namenloser junger Maler, hatte sich mit den Jahren in Tokio einen Ruf als hervorragender Porträtist erworben. Doch mit der Trennung von seiner Frau lehnt er schlagartig sämtliche Aufträge ab. Er will sein Leben neu ordnen und zieht sich in ein abgelegenes Haus zurück. Dort legt ihm sein Agent eines Tages ein äußerst lukratives Angebot vor. Er soll das Porträt eines steinreichen Mannes anfertigen. Nach einigem Zögern nimmt er an. Fortan sitzt ihm Wataru Menshiki regelmäßig Modell. Doch der Ich-Erzähler findet nicht zu seiner alten Fertigkeit zurück. Das, was Menshiki ausmacht, kann er nicht erfassen. Wer ist dieser Mann, dessen Gesicht er keine Tiefe geben kann? Der ihm sehr Intimes erzählt und doch undurchsichtig bleibt?
Durch einen Zufall entdeckt der junge Maler auf dem Dachboden ein meisterhaftes Gemälde. Es trägt den Titel "Die Ermordung des Commendatore". Plötzlich geschehen mehr und mehr merkwürdige Dinge um den Ich-Erzähler herum, als würde sich eine andere Welt öffnen. Soll er sich wirklich Menshiki anvertrauen und ihm davon berichten?

Hörspiegel-Meinung

Story/Inhalt 
 
8,0
Atmosphäre 
 
10,0
Sprecher 
 
10,0
Aufmachung 
 
8,0
Gesamtwertung 
 
9,0

Bei Romanen von Haruki Murakami weißt du, dass du dich in sie verlieben wirst. Ihr Titel weckt Erwartungen in dir. Die ersten Kapitel sind vielleicht oberflächlich, nicht zu intensiv. Doch dann wird es "deeper", und zunehmend tritt deine vormalige Erwartung in den Hintergrund und wird überrascht durch die unvorhersehbaren Facetten einer Welt, die sich hier und jetzt vor dir öffnet. Dann: Dieser eine Augenblick (und vielmehr ist es oft nicht), von dem an du jenes Buch nicht mehr missen möchtest. 
So erging es mir mit „Die Ermordung des Commendatore I: Eine Idee erscheint“. Es ist so anders als sein Name vermuten lässt, und meine Erwartungen wurden komplett auf den Kopf gestellt.

Der Ich-Erzähler ist Maler. Er porträtiert Menschen für Geld, damit bestreitet er seinen Lebensunterhalt. Doch er möchte sich verändern, anders arbeiten, seiner Kunst eine neue Tiefe verleihen. Dafür zieht er sich in ein entlegenes Haus zurück. Auf dem Dachboden findet er ein altes Gemälde des Vorbesitzers, dem berühmten Maler Tomohiko Amada. Ein Bild – beinahe versteckt vor der Welt. Es trägt den Titel „Die Ermordung des Commendatore“ und birgt viele Fragen in sich, deren Beantwortung bis zum Ende des ersten Teils gerade einmal angerissen wird.

Das einzige Nachbarhaus ist das seines Nachbarn Herrn Menshiki . Es ist gerade noch mit dem Auge erkennbar, so einsam ist es in der Umgebung des Malers. Menshiki bittet den Protagonisten eines Tages, ein Porträt von sich anzufertigen, entgegen dessen Vorsatz, keine Porträts mehr anzufertigen. Und während Menshikis Bildnis entsteht, zeichnen sich immer mehr neue Handlungsstränge ab, getrieben durch die Dialoge zwischen Maler und Modell.

Als Leser oder Hörer des Romans erfährst du auch etwas über klassische Opern- und Kammermusik. Aus Mozarts „Don Giovanni“ stammt nicht nur der Titel des Romans, sondern der „Commendatore“ hat eine wesentliche, tragende Rolle im Roman. Murakami überschreitet dabei die Grenze zwischen Realität und fiktionalem Traum so gekonnt, wie schon in seinen früheren Werken. Mit dem Unterschied, dass es im „Commendatore“ noch viel flüssiger geschieht, und du als Rezipient alles mit dir geschehen lässt. Murakami hat dich im Griff.

Das liegt auch an den fabelhaft ausgearbeiteten Charakterzügen seiner Figuren. Sie handeln allzu menschlich. So fühlst du dich wohl, dass der Hauptcharakter stets die richtige Ausgewogenheit zwischen Bodenständigkeit und moralischer Unabhängigkeit wählt. Er ist nie zu egoistisch, weiß sich selbst aber mit Umständen zu arrangieren, die andere Menschen vermutlich kategorisch ausschließen würden. Eine sexuelle Beziehung zu einer verheirateten Frau beispielsweise. Sich beim Sex von einem Geist beobachten zu lassen, weil dieser Interesse daran hat, ohne die Bedeutung von sexuellen Handlungen zu verstehen. Oder mit einem minderjährigen Mädchen, das ihm Modell sitzt, auf dessen Fragen einzugehen, welche eine homöopathische, aber deutlich wahrnehmbare sexuelle Konnotation aufweisen. Es ist stets ein Tanz auf dem Drahtseil, ohne dabei anrüchig zu wirken. Macht es den Charakter deshalb unsympathisch? Im Gegenteil. Er hält uns den Spiegel vor und zeigt uns, dass wir alle diese kleinen Unzulänglichkeiten haben und uns deshalb nicht unbedingt schlecht fühlen müssen. Und dabei fühlen wir uns gut – anders als beispielsweise bei Nabokov, nach dem man vermutlich am liebsten zwei Stunden duschen würde.

„Die Ermordung des Commdendatore“ hat mich auf vielen Ebenen getriggert: Kunst, Malerei, insbesondere die japanische Nihonga-Malerei, Musik, Spiritualität, Geistergeschichten, Sexualität, Kreativität, zwischenmenschliche Beziehungen, Höflichkeit, Triebhaftigkeit, Blutsbande, kurzum: Das Menschsein in all seinen Facetten – erleuchtet und unterstrichen durch die Andersartigkeit der Geisterwelt.

Das Hörbuch erscheint bei Hörbuch Hamburg und wird gelesen von David Nathan. Niemand anderes sollte jemals Murakamis Geschichten lesen. Nathan findet immer die richtige Betonung. Unprätentiös, bodenständig und doch manchmal sehr erhebend, genauso wie Murakamis Text verstanden werden möchte.

Inzwischen ist auch der zweite Teil erschienen, in dem hoffentlich viele der offenen Fragen beantwortet werden. 

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