Im Wald der stummen Schreie Hot
Hörbuch
Rückentext
Untersuchungsrichterin Jeanne Korowa wird auf eine grausame Mordserie angesetzt: Drei brutal ausgeweidete Frauen, deren Leichen makaber in Szene gesetzt werden - und deren Körperteile teilweise verspeist wurden. Bei ihren Ermittlungen stößt sie auf einen besorgten Vater, der von den seltsamen Taten seines autistischen Sohnes berichtet. Kann der Junge der Täter sein? Jeannes Ermittlungen führen sie bis in den Dschungel Argentiniens. Was sie dort entdeckt, übersteigt ihre kühnsten Vorstellungen …Hörspiegel-Meinung
Jean-Christophe Grangé ist immer ein Garant für bestialische Mordszenen in seinen Thrillern. Dabei lässt der Hörer niemals aktiv Teilnehmen, sondern lässt ihn durch die Augen des Ermittlers sehen. So entsteht eine stets präsente Bedrohung. Auch hat der Mörder Anfangs weder ein Profil noch ein Gesicht, und sein Charakter gewinnt mehr und mehr an erkennbarer Struktur.
Genauso ist es in „Im Wald der stummen Schreie“. Die Richterin Jeanne Korowa (Zitat: „Wie die Bar in ‚Clockwork Orange‘“) leidet unter Depressionen und nutzt ihr Amt aus um mehr über die Treue ihres Lebensgefährten zu erfahren. Sie lässt kurzerhand eine Wanze bei dessen Psychotherapeuten installieren und lauscht nun deren Gesprächen. Sofort erfährt sie, dass er sie betrügt. Doch das ist nicht das einzige Ergebnis der illegalen Abhöraktion. Sie verliebt sich in die Stimme des Therapeuten und hört sich oft und lange die Bänder anderer Gespräche zwischen ihm und seinen Patienten an, nur um dessen wohliger Stimme zu lauschen. Das beruhigt sie. Als sie jedoch die Sitzung eines Vaters und seines Sohnes akustisch miterlebt, bringt sie das Gehörte mit einem aktuellen, bestialischen Mordfall in Verbindung: In Paris geht ein Serientäter umher, der Frauen auflauert, sie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und teilweise verspeist. An den Wänden der höhlenhaften Tatorte hinterlässt er so etwas wie Höhlenmalereien. Zu dieser archaischen Vorgehensweise passt das Therapiegespräch des besorgten Vaters. Jeanne findet heraus, dass der Junge im Dschungel Südamerikas aufwuchs. Von Affen großgezogen. Weiterhin lässt sie vermuten, dass irgendwo in diesem Dschungel ein weiteres Geheimnis verborgen liegt, das an die Wurzeln der Menschheit heranreicht.
Mit „Im Wald der stummen Schreie“ beendet der Autor seine „Trilogie des Bösen“, die mit „Das Schwarze Blut“ und „Das Herz der Hölle“ ihre ersten beiden Teile fanden. Allerdings sind alle drei Romane vollkommen unabhängig voneinander, es gibt keine Überschneidung der Personen oder Handlungen. Lediglich die düstere Grundannahme – das Böse ist im Menschen selbst – dient als Basis.
Was Grangé in diesem Roman gelingt: Man erkennt den Thriller sofort als einen Grangé! Und es macht Freude, den Ermittlungen beizuwohnen und die Lösungen häppchenweise zu erhalten. Die Spannung, die logischen Schlussfolgerungen, die alle auf eine äußerst unwahrscheinlichen aber einzig möglichen Lösung deuten und der Brutalitätsgrad der Morde, die sich der Leser/Hörer im Kopf ausmalen darf, sind in dieser Kombination sicherlich einzigartig. Und dennoch gibt es Grangé-Thriller, die runder sind, schneller, packender. Dennoch macht es mir um einiges mehr Freude, einen Grangé zu lesen/hören als so manchen US-amerikanischen Serienkiller-Thriller, die oft nach Schema F aufgebaut sind.
Eine Schwachstelle des Hörbuchs ist für mich die Interpretin Andrea Sawatzki. Es ist logisch und konsequent bei einem Roman, in dessen Mittelpunkt eine weibliche Ermittlerin steht, auch eine weibliche Sprecherin einzusetzen. Stimmen, die einen Joachim Kerzel oder Wolfgang Pampel fordern, sind insofern zwar aus gewohnheitsgründen nachvollziehbar, aber es ist genauso erklärbar, dass man hier auf eine Frau setzt. Aber es gibt so viele andere tolle Interpretinnen. Sawatzki liest leider den Text hauptsächlich ab und interpretiert ihn nicht, füllt ihn nicht mit Emotion oder gar Leben. Wenigstens eines stimmt: Das Äußere der Hauptdarstellerin Jeanne wird durch ihre Ähnlichkeit zur Schauspielerin Julianne Moore beschrieben. Diesem Typus gehört auch Andrea Sawatzki an. Und dennoch passt es überhaupt nicht gut. Ich habe mich oft dabei erwischt, wie meine Gedanken beim Hören abschweiften, weil mich ihre Stimme nicht beim Text zu halten vermochte.
Eine weitere Schelte gilt der Titelübersetzung. Ein so reißerischer Name wie „Im Wald der stummen Schreie“ passt nicht zu der qualitativ guten Unterhaltung und kommt im gesamten Text nicht vor. Stattdessen hätte man sich besser gestanden, den Originaltitel „La Forêt des Mânes“ („Der Wald der Manen“) beizubehalten. Denn dieser ist zentrales Ziel der Dramaturgie und Schauplatz des schockierenden Showdowns.
Dennoch ist „der neue Grangé“ eine willkommene Abwechslung zur gängigen Thriller-Kost und ich bin bereits gespannt, welche Grausamkeit er sich für seinen neuen Roman „Le Passager“ ausgedacht hat, der vor wenigen Tagen in Frankreich erschien.