DANIEL SCHLÄPPI: 'Die Essenz in der Musik' Hot
Nico Steckelberg
04. März 2013
Interview
Interview-Partner
Einleitung
Der Schweizer Jazz-Produzent und Bassist Daniel Schläppi zählt zu den schöpferischsten Köpfen seines Genres. Dabei ist seine Musik stärker durch Intuition geprägt denn durch Kopflastigkeit. Im nachfolgenden Hörspiegel-Interview spricht Schläppi über die Zusammenarbeit mit Marc Copland. Er erklärt, worin der Reiz des Ungeplanten liegt, wie es zu einer Schnittmenge zwischen Chirurgie und Jazz kommen kann und weshalb Duos keine Hyper-Egos vertragen.
Das Interview
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Daniel, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für unsere Fragen nimmst. Wenn ich einmal auf die letzten Jahre zurück blicke – 10 Alben in 10 Jahren – dann drängt sich mir die Vermutung auf, dass Du ein viel beschäftigter Mann bist.Daniel Schläppi: Ja, vermutlich schon. Allerdings fehlt es mir an Vergleichen, und mein Alltag ist für mich normal.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Für Dein Jubiläumsalbum „Essentials“ hast Du Dich mit Marc Copland zusammen getan. Warum gerade mit ihm?
Daniel Schläppi: Ein „Jubiläum“ war gar nie geplant. Es ist mir erst später zufällig bewusst geworden, dass ich in den letzten 10 Jahren 10 Alben als Leader, Co-Leader und Produzent herausgebracht habe. Die Zusammenarbeit mit Marc Copland nahm ihren Anfang anlässlich eines Kunststipendiums für ein halbes Jahr New York, das ich 2010 gewonnen habe. Ich wollte in New York ursprünglich ein anderes Projekt realisieren, das sich aber ‒ im Rückblick glücklicherweise ‒ nicht umsetzen liess. Genau zum richtigen Zeitpunkt hörte ich dann Marc Copland im Trio im Birdland, was mich absolut faszinierte.
Sein Klavierspiel ist absolut unprätentiös, obwohl er eine stupende Technik hat. Seine Art, Akkorde zu legen, sein Anschlag, seine Phrasierung und Artikulation sind einzigartig. Ausserdem hat er eine subtile Pedaltechnik, die seinen ureigenen Sound wesentlich prägt. Aus der Summe dieser Qualitäten resultieren enorme klangliche Möglichkeiten. Obwohl Marc vermutlich nie ein Klavier „präparieren“ würde, klingt er für meine Ohren immer „überraschend“.
Als wir uns dann über längere Zeit immer wieder zum Spielen in Marcs Wohnzimmer etwas ausserhalb von New York trafen, lernte ich ihn als bescheidenen, feinfühligen, ergebnisoffenen Menschen kennen. Sein freier Geist und seine unheimlich guten Ohren ermöglichen ihm, aus der Tradition heraus ausnahmslos spannende Musik zu kreieren, die sich „neu“ anhört. Auch wenn Marc zu den wenigen Pianisten gehört, die man nach ein paar Akkorden erkennt, wiederholt er sich nie. Solch kreative Schaffenskraft aus dem Moment heraus macht mich sprachlos.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Du hast bereits in einigen unterschiedlichen Formationen gespielt bzw. diverse Combos zusammengestellt und produziert. „Essentials“ ist ein Album für zwei Instrumente: Bass und Piano. Ist es schwieriger Musik zu komponieren, die mit nur zwei Instrumenten auskommen darf als beispielsweise ein Stück für ein größeres Ensemble?
Daniel Schläppi: Je kleiner die Besetzung, desto unbedeutender nach meinem Erachten die Bedeutung von Konzept und Komposition. Ich liebe Kleinstbesetzungen, weil etwa in einem guten Duo ganz organisch die musikalische Kommunikation ins Zentrum rückt. So haben wir ausser der fantastischen Komposition „Between Now And Then“ von Marc ausschliesslich Standards und Spontanimprovisationen aufgenommen.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Wie sehr achtest Du beim Komponieren darauf, dass der Bass als das von dir gespielte Instrument in seiner – darf man das so sagen? ‒ klanglichen Schlichtheit nicht hinter den „schillernden“ Klangkaskaden eines Pianos oder den ohrenschmeichlerischen Akkorden einer Akustikgitarre zurück bleibt? Anders gefragt: Nimmt Daniel Schläppi, der Komponist, Rücksicht auf Daniel Schläppi, den Bühnenmusiker?
Daniel Schläppi: Die Hörbarkeit des Basses – ob im Studio oder auf der Bühne ist unerheblich ‒ hängt von der Instrumentierung des Ensembles und der Spielweise der Mitmusiker ab. In meinen Gruppen schaffe ich für den Bass gezielt Raum über Weglassung. Mal fehlt das Schlagzeug, mal das harmonisch zwingendermassen dominante Klavier. So öffnen sich für den Bass spannende Entfaltungsräume im Sinn von mehr harmonischer, melodischer und rhythmischer Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten. Namentlich bei der Weglassung von Perkussionsinstrumenten weitet sich zudem die wahrnehmbare dynamische Bandbreite exponentiell. Dass auch leise gespielte Passagen plötzlich hörbar sind, erlaubt mir subtilere Formen der Phrasierung.
Im Zusammenspiel mit anderen Musikern hängt die Verständlichkeit des Basses ausserdem davon ab, ob sich die hinsichtlich Dezibel und klanglicher Schrille „mächtigeren“ Instrumente permanent in den Vordergrund spielen müssen, oder ob sie dialogisch mit dem Bass interagieren wollen und können. Wie in einem guten Gespräch ist entscheidend, dass man sich klar und verständlich ausdrückt und einander nicht andauernd ins Wort fällt. Ein Duo verträgt keine Hyper-Egos.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Bitte erzähle uns mehr zum Entstehungsprozess des Albums.
Daniel Schläppi: Ich kannte die Musik von Marc Copland natürlich schon lange von CDs und daheim in der Schweiz gehörten Konzerten. Es brauchte einige Überwindung, Marc überhaupt anzufragen. Geholfen haben mir die Ermunterungen einiger herausragender Bassisten, die ich in New York besuchte und die mir sehr positive Rückmeldungen auf mein Spiel gaben. So fasste ich mir schliesslich ein Herz, kontaktierte Marc auf gut Glück per Email und bat ihn, sich doch die Aufnahmen meiner Bandprojekte über Internet anzuhören. Ich war komplett überrascht, ja perplex, als er für die CD-Aufnahmen zusagte und meinte: „You get a real nice feel on the bass!“ Danach lief alles ganz von selbst und normal. Schon beim ersten Treffen war uns klar, dass die Chemie stimmte, denn das Musikmachen machte von Beginn weg Spass. Wir spielten dann über Wochen regelmässig in Marcs Wohnzimmer, bis wir schliesslich im Studio „Systems Two“ in Brooklyn aufgenommen haben.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Die Stücke „Essential 1-8“ führen wie ein roter Faden durch das Album. Was macht für Dich den Reiz dieses Konzeptes aus?
Daniel Schläppi: Die „Essentials“ sind allesamt freie Improvisationen. In den Solostücken spiele ich mit den Möglichkeiten des Instruments und probiere Dinge aus, die ich mich an meinem Bass faszinieren. Ich nehme bei jeder Studiosession zwischendurch ein paar solche Spontanstatements auf. Was ohne viel Nachdenken aus dem Moment gespielt ist, spiegelt irgendwie die Stimmung der Session wieder. Und wenn es unter den Takes brauchbares Material hat, kommt dieses auch auf die CD. Auf diesem Album wirken die Impros wie kontrafaktische Kommentare zu den Songs aus dem Great American Songbook.
Die gemeinsamen Impros von Marc und mir (Nrn. 4, 6, 13) verblüffen mit sekundenschnellen Wechseln in Tonlage und Intensität, symbiotischem Harmonieverständnis, spektakulären Übergängen sowie abgerundeter Dramaturgie und formaler Stringenz ‒ als handelte es sich um fertige Kompositionen. Wenn Marc und ich zusammenspielen, entstehen wie von selbst formal stringente Klanggebilde.
In analoger Weise interpretieren wir übrigens auch Standards. Im Studio haben wir kurzerhand Tonarten oder Tempi einiger Standards geändert (Marc: „It keeps the music fresh, I do it all the time.“) sowie Intros, Interludes oder Outros beigefügt, was entscheidenden Einfluss auf den musikalischen Bogen der gesamten Version hat. Unser Interplay könnte man als permanentes, kommunikatives Experiment in Echtzeit bezeichnen. Dass diese Weise des Musikmachens überhaupt funktioniert, ist absolut verblüffend. Ich vermute jedoch, es geht hier um die Essenz in der Musik ‒ daher auch der Albumtitel „Essentials“.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Wie reizvoll ist für Dich als Jazz-Musiker und -Komponist konventionelle Radiomusik?
Daniel Schläppi: Ob ich Musik gut finde oder nicht, hängt für mich davon ab, ob sie mich berührt. Sei es durch emotionale Dichte, handwerkliche Raffinesse oder genialisches Künstlertum. Ich höre nur noch Musik, die mich berührt. Und dafür müsste ich zu lange an Radio sitzen. So gesehen kann und will ich mich zur aktuellen Popmusik nicht äussern. Was mir aber aufgefallen ist, dass Popstücke unterschiedlich gut altern. Gewisse Musik hat ausreichend Substanz, auch für die überübernächste Generation immer noch zu bestehen und frisch zu klingen. Der Teenager-Nachwuchs meines Freundeskreises hört sich lieber die Schallplatten der Eltern an als den Flatrate-Retortenpop, der auf den Schulhöfen gestreamt wird.
Das ist schön, allerdings sass ich jüngst in einer Hotellobby, wo ein Sender einen Hit nach dem andern aus meiner Jugendzeit spielte. Bei einer solchen Äthernarkose spürt man unwillkürlich, wie stark Popmusik mit dem Lebensgefühl einer Generation zusammenhängt. Der eigenen Biographie wird gewissermassen ein kultureller Marker übergestülpt, der einen ungewollt als Mitglied einer an den Schreibtischen der Werbeindustrie designten Zielgruppe brandmarkt. In den Köpfen der Marketingmogule sollte ich mittlerweile den Wünschen der Wirtschaft entsprechend gealtert sowie kaufkräftig und -willig sein, was leider alles nicht der Fall ist. Weil ich ausserdem fand, dass ich mich für das muntere Sample an abgespulten Hitparadestücken aus den 1980ern keineswegs zu schämen brauchte, war ich über die aufdringliche PR-Strategie nicht zu sehr erschüttert.
Auch im Jazz altert gewisse Musik besser als andere. Es gibt Aufnahmen, die wir früher vor- und rückwärts gespielt haben, die ich mir heute aber nicht mehr anhören kann. Meine ganze musikalische Sozialisation erfolgte noch über Schallplatten und (weil man als Musiker ja kaum Geld hatte) über Kassetten und später Dat-Bänder, auf die man die Tonträger der Kollegen kopierte. Vor ein paar Jahren habe ich mich einmal hingesetzt und meine ganzen, teilweise unbeschrifteten Kassetten auf einer digitalisierten Liste inventarisiert. Meistens hatten ja die A- und B-Seiten nichts miteinander zu tun, weil man ja chronologisch eine Kassette nach der andern füllte, den Schrott überspielte, irgendwo noch ein einzelnes Stück aufnahm, weil es halt noch etwas Platz hatte. Während viele der seinerzeit aufgenommenen Alben bestens überdauert haben, war bei einigen Bändern nach drei Sekunden klar, dass ich sie nie wieder hören würde.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Hast Du Dich selbst schon mal an Rock und Pop versucht? Von uns erfährt es auch niemand.
Daniel Schläppi: Ich habe jahrelang in einer Coverband namens „Die Sterndeuters“ gespielt, bin öfter mal kurzfristig in Popbands am E-Bass eingesprungen. Mit der Band „Twice A Week“ spielten wir in den 1990er Jahren zeitweise sehr rockige Fusion, und ich habe für diese Truppe eine Komposition für verzerrten E-Bass mit dem Titel „Daniel Düsentrieb“ geschrieben. Im Rückblick hatte diese Musik mehr mit Zusammengehörigkeits- und Lebensgefühlen zu tun als mit gutem Geschmack. Gut war sie trotzdem, und: „Je ne regrette rien!“
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Ich weiß aus sicherer Quelle, dass sich Operateure während der OP im Saal gern mit Jazzmusik beschallen lassen. Gibt es für Dich einen Zusammenhang zwischen Chirurgie und Jazz?
Daniel Schläppi: Nein. Im Jazz sollte unter keinen Umständen Blut fliessen und nach dem Anhören oder Spielen eines Konzertes sollte man nicht in die Rehabilitation müssen.
Aber im Ernst: Der Konnex von Ärztetum und Musik – Jazz und Klassik – ist vermutlich ein anderer: Viele Mediziner sind selber talentierte Musiker, die in ihrer Jugend angestrengt geübt haben – wie sie in der Regel auch intensiv für die Schule arbeiteten –, dann aber wegen impliziter Wertehaltungen ihres Herkunftsmilieus, oder auch mal wegen expliziter Verbote von elterlicher Seite nicht Musik sondern etwas „Rechtes“ studierten. Viele von ihnen hadern ihr ganzes Leben mit dieser Wahl und würden den Steinway in ihrer Villa am See lieber richtig spielen als besitzen können. Daran, dass sie dem Jazz so manisch verfallen geblieben sind, dass sie ihn sogar im OP noch brauchen, ändert das nichts.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Deine Alben lassen genretypische Färbungen erkennen. Wie findest du neue Ideen? Reicht es mit offenen Ohren durch die Welt zu gehen oder ist die Konzepterarbeitung harte Arbeit?
Daniel Schläppi: „Konzepte“ als Kopfgeburten interessieren mich schon längere Zeit nicht mehr. Je mehr Verrenkungen und vorgängige Erklärung ein Klangerzeugnis beinhaltet, desto weniger an gehaltvoller Musik bleibt übrig. Das Feld der sich intellektuell oder wenigstens verbal rechtfertigen müssender Musik darf der Jazz von meiner Warte aus gerne anderen Sparten überlassen.
Persönlich fokussiere ich auf die Kernkompetenz des Idioms als Inbegriff der Momentkunst: Die spontane Interaktion von Musikerpersönlichkeiten mit Charisma und eigener Stimme. Insofern ist es nicht harte Arbeit, wenn ich Mitspieler für ein neues Projekt auswähle. Eher würde ich von Vertrauen in die eigene Intuition sowie Stil- und Geschmacksicherheit reden. Vielleicht sind diese Skills aber nicht nur eine Frage des Talents sondern auch das Ergebnis in jahrelanger harter Arbeit gesammelter Erfahrung. Wenn dann die Fachwelt auf die Eigenständigkeit des Duo-Albums von Marc Copland und mir hinweist, nehme ich dies gerne als Bestätigung meiner Arbeitsweise, zumal Marc schon im Duett mit Leuten vom Kaliber von John Abercrombie, Dave Liebman, Bill Carrothers oder Gary Peacock zu hören war.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Im März gehst Du auf Tour. Worauf freust Du Dich am meisten?
Daniel Schläppi: Die Inspiration des Momentes erleben zu dürfen, etwas vom Schönsten, das es gibt. Auf tolle Musik.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Kommt das elfte Album im elften Jahr? Welche Pläne hast Du?
Daniel Schläppi: 2013 wird „Perceptions“ erscheinen, das zweite Album im Trio mit dem Gitarristen Tomas Sauter und Jorge Rossy, dem langjährigen Schlagzeuger des legendären Brad Mehldau-Trio. Ob aus anderen in New York angebahnten Kontakten etwas entstehen wird, wird sich weisen. Ich bin selber gespannt. Letztlich waren auch die 2013 mit Marc stattfindenden Tourneen ursprünglich nicht geplant. Der Vorschlag, wir sollten zusammen auf Tour gehen, weil wir musikalisch so gut zusammen passten, kam von Marc, nachdem er sich unsere Aufnahmen angehört hatte. Im April 2011 schrieb er mir: „I hope to play with you live---let's see what happens!“ So weiss man bei aller Planung letztlich nie, was noch passieren wird.
Nico Steckelberg (Hörspiegel): In Rockmusiker-Kreisen werden gern schon mal Bassisten-Witze erzählt. Kennst Du einen Guten zum Abschluss?
Daniel Schläppi:
Es ist ein Witz in zwei Teilen:
Erster Teil: Ein Bassist hat einen neuen Schüler.
Zweiter Teil: Nach zwei Lektionen kommt der Schüler nicht mehr. Etwas später trifft der Bassist den Schüler zufällig in einer Kneipe und fragt: „He, warum kommst Du denn nicht mehr zum Unterricht?“ Der Schüler: „Keine Zeit mehr – zu viele Konzertanfragen …“
Nico Steckelberg (Hörspiegel): Herzlichen Dank, Daniel Schläppi, und viel Erfolg für die Tour. Die letzten Worte gehören Dir.
Daniel Schläppi: Viel Freude mit unserer Musik und vielen Dank!