CHRISTIAN BRUHN: 'Bis das Schicksal mir den Griffel aus der Hand schlägt'

CHRISTIAN BRUHN: 'Bis das Schicksal mir den Griffel aus der Hand schlägt' Hot

Nico Steckelberg   16. Januar 2010  
CHRISTIAN BRUHN: 'Bis das Schicksal mir den Griffel aus der Hand schlägt'

Interview

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Einleitung
Wer in den letzten 50 Jahren mit offenen Ohren durchs Leben gegangen ist, der hat sie gehört: die Musik von Christian Bruhn. Der 1934 geborene Komponist, Arrangeur und Liedtexter zeichnet nicht nur verantwortlich für eine Reihe sehr bekannter deutscher Schlager (z. B. „Marmor, Stein und Eisen bricht“), er hat auch vielen TV-Serien mit seinen Kompositionen zum Erfolg verholfen („Captain Future“, „Die rote Zora“ u. v. a.). Seine Werbejingles, z. B. für Milka-Schokolade, sind noch heute in jedermanns Ohr. Seit Anfang der 1980er Jahre ist Bruhn Mitglied im Aufsichtsrat der Gema, deren Vorsitz er von 1991 bis 2009 innehatte. Am 16.01.2010 steht Professor Christian Bruhn den Fragen des Hörspiegels Rede und Antwort.

Das Interview

Der Hörspiegel: Professor Christian Bruhn, es freut uns sehr, dass wir Sie für ein Hörspiegel-Interview gewinnen konnten! Sie sind ein sehr beschäftigter Mann. Von welchen Aufgaben halten wir Sie gerade ab?

Christian Bruhn: Ich bereite gerade einige Lieder für den Grand Prix der Volksmusik vor. Ich kann’s nun mal nicht lassen.

Der Hörspiegel: Von Ihnen stammen bekanntlich zahlreiche Ohrwürmer des deutschen Schlagers, um einige der bekanntesten aufzuzählen: “Marmor, Stein und Eisen bricht”, “Wunder gibt es immer wieder”, “Liebeskummer lohnt sich nicht”, “Ein bißchen Spaß muß sein” ... die Liste lässt sich beliebig erweitern. Trotzdem wird Ihnen die Bezeichnung “Schlagerkomponist” sicherlich nicht gerecht.

Christian Bruhn: Nein, weil ich außer mit Schlagern ja den gesamten Bereich der Unterhaltungsmusik ausgefüllt habe: Konzertante Musik, Chansons, Volksmusik, TV-Illustrationsmusik, Werbejingles usw.

Der Hörspiegel: Wer heute in die Kinos geht, der hört Musik von Christian Bruhn (“Wickie”), wessen Kinder Anime-Serien im TV schauen, hört ebenfalls Ihre Musik (z. B. “Captain Future”, “Heidi”, Sindbad”). Hinzu kommen die vielen TV-Serien der 1970er und 1980er Jahren, die heute ihr verdientes Revival auf DVD feiern und deren Titelstücke Sie komponiert haben (u. a. “Timm Thaler”, “Silas”, “Oliver Maas”, “Manni der Libero”). Was macht den großen – langjährigen! – Erfolg Ihrer Stücke aus? Verraten Sie uns das Geheimnis?

Christian Bruhn: Das Geheimnis eines merkfähigen und dauerhaften Musikstückes ist seine Melodie, sein Text, seine Instrumentation, seine Interpretation, seine Produktion sowie der Zeitpunkt, wann es auf dem Markt erscheint.

Der Hörspiegel: Was bedeutet für Sie kompositorische Flexibilität?

Christian Bruhn: Umfassendes handwerkliches Können, Talent, Phantasie, Menschenliebe und ein wenig Intelligenz.

Der Hörspiegel: Der Begriff “Allroundtalent” wird heute sehr schnell “aus dem Hut gezaubert”. Schreibt ein Interpret der kommerziellen Unterhaltungsmusik seine Texte – oder gar Stücke – selbst, gilt er oft bereits als eine Ausnahme. Allerdings sieht man zunehmend auch junge Künstler – oft Bands aus dem Rock-Genre – die es mit Eigenkompositionen bis an die Spitze der Charts schaffen. Ist dies dennoch eher die Ausnahme? Wie wichtig werden professionelle Komponisten und Produzenten für die Musik der Zukunft sein?

Christian Bruhn: 1960 hatte die GEMA 20.000 und heute bald 70.000 Mitglieder, alles kleine Beethovens, bis auf die Textdichter und Verleger. Dass die Gruppen ihre eigenen Songs schreiben ist OK und fing ja schon mit den Beatles an. Es wird aber immer auch Interpreten – wie z. B. Helene Fischer – geben, die ausschließlich singen. Und es gibt die TV-Illustrationsmusik, die offenbar inzwischen so kompliziert geworden ist, dass sich meist zwei Tonsetzer in die Arbeit teilen müssen, oder dass der „Komponist“ einen sogenannten Orchestrator benötigt, welcher ihm die Sachen instrumentiert.

Der Hörspiegel: Entwickeln wir den Gedankengang weiter: Computer mit Musik-Software machen es heute möglich – jeder halbwegs talentierte PC-Tüftler kann mit Hilfe einer einfachen Midi-Tastatur und inzwischen erschwinglicher Software selbst Musik komponieren und produzieren. Die Technik kaschiert und übertüncht den Mangel an kompositorischem Handwerkszeug, und die Hörer lassen sich oftmals gern täuschen. Man kann nicht behaupten, dass solche Musik es nicht in die Radios oder Charts schafft (vgl. die Techno-Bewegung der 1990er Jahre, ich möchte behaupten, dass hier das qualitativ minderwertige musikalische Angebot die Nachfrage nachhaltig beeinflusst hat). Ist das eher ein Fluch oder ein Segen?

Christian Bruhn: Synthesizer, Sampler, Sequenzer und Computer sind Musikinstrumente wie andere (brennbare oder schmelzende) auch. Es hängt von ihrer Anwendung ab, wie professionell das musikalische Ergebnis letztendlich ist. Für mich und viele meiner Kollegen sind sie eine Bereicherung. Grundsätzlich: Es gibt keine „gute“ und andererseits „schlechte“ oder „minderwertige“ Musik. Es gibt nur langweilig-banale und komplexere professionelle Musik, egal ob U oder E. Eine Melodie oder eine Akkordfolge kann nie „schlecht“ sein, nur mehr oder weniger geschickt oder ungeschickt. Sie kommt ja aus einem Menschenherzen.

Der Hörspiegel: Sie sind meistens nicht als der Interpret Ihrer eigenen Stücke in Erscheinung getreten, sondern standen oft im Schatten oder Kleingedruckten der “medialen” Erfolge Ihrer Stars. Hat es Ihnen nie etwas ausgemacht, dass das Publikum Drafi Deutscher, Cornelia Froboess, Peter Alexander, Freddy Quinn, Wencke Myhre und Co. gefeiert hat und nicht die Person, die eigentlich für den großen Erfolg der Stücke verantwortlich war? Oder ist dieser Gedankengang zu romantisch?

Christian Bruhn: Ich habe im Leben übergenug Ehrungen erhalten. Wenn auf dem Oktoberfest oder auf einem Isarfloß MARMORSTEIN oder ein anderes meiner Lieder erklingt, ist dies Befriedigung genug. Hinzu kommen die rührenden E-Mails, die ich von den Fans meiner TV-Musiken bekomme. Meinen geliebten Interpreten gehört zudem ein gut Teil des Erfolges. Außerdem ist es angenehm, wenn man im Restaurant in Ruhe essen und trinken kann, ohne dass man von Autogrammjägern daran gehindert wird.

Der Hörspiegel: Wie stehen Sie zu TV-Formaten wie “Deutschland sucht den Superstar” oder “Popstars”?

Christian Bruhn: Lustige Unterhaltung – kann Menschen und ihre Schicksale zerstören.

Der Hörspiegel: Wer sind aus Ihrer Sicht die wahren Talente in der heutigen Unterhaltungsmusik? Wer sind Ihre Lieblingsmusiker und welche CD haben Sie sich zuletzt gekauft?

Christian Bruhn: Gibt es wahre und unwahre Talente? In der Popularmusik ist der Erfolg entscheidend. Und seine Dauerhaftigkeit. – Mein absoluter Lieblingsmusiker ist Erroll Garner, meine Lieblingskomponisten sind Jerome Kern, Irving Berlin, George Gershwin, Richard Rodgers, Cole Porter und Heino Gaze. – Helene Fischer, um mich über den enormen Erfolg dieser Sängerin und meines Kollegen Jean Frankfurter zu informieren. (Ansonsten höre ich fast nur Klassik und Jazz.)

Der Hörspiegel: Das Werbefernsehen wäre ohne Ihre Kompositionen auch um einige Klassiker ärmer. “Milka, die zarteste Versuchung...” stammt von Ihnen, “Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause” ebenso. Zu Ihren Kunden zählen Konzerne wie McDonald’s, Ford oder Coca Cola, Sie bewarben Produkte von Joghurt über Shampoo bis hin zu Allzweckreinigern. Wie gingen Sie heute vor, wenn Sie eine neue Werbemelodie kreieren sollten?

Christian Bruhn: Genau wie immer – Erstellung eines merkfähigen Jingles mit zeitgemäßer oder klassischer Instrumentation. Eine Werbemusik ist ja sozusagen ein Mini-Schlager, oder sollte es wenigstens sein.

Der Hörspiegel: Inwieweit unterscheidet sich die Werbemusik von heute von der Werbemusik der 1980er?

Christian Bruhn: Es gibt weniger merkfähige Jingles.

Der Hörspiegel: Erst in der Vorbereitung auf dieses Interview ist mir bewusst geworden, wie komplex es ist, eine Eröffnungsfrage zu finden, die dem Tätigkeitsspektrum eines Christian Bruhn gerecht wird. Jüngst sind Sie auch unter die Autoren gegangen. Wie sind Sie dazu gekommen und in welcher ihrer vielen beruflichen Rollen nehmen Sie sich selbst im Jahr 2010 primär wahr?

Christian Bruhn: Sie sprechen von meinen Memoiren „Marmor, Stein und Liebeskummer“. Die gibt es bereits seit ein paar Jahren. Ich hatte halt viel zu erzählen. – Ich mache weiter Musik, bis das Schicksal mir die Finger lähmt und mir den Griffel aus der Hand schlägt.

Der Hörspiegel: Welche Projekte stehen als nächstes an?

Christian Bruhn: Ein Album mit der österreichischen Sängerin Helga Frank, ein Album mit dem Bariton Oliver Stern (in Nachfolge von Ronny), sowie ein lange aufgeschobenes Big-Band-Album mit Swing-Musik.

Der Hörspiegel: Herr Bruhn, ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Antworten. Beim Hörspiegel gehören die letzten Worte traditionell dem Interviewpartner.

Christian Bruhn: Ich wünsche meinem Interviewer und mir ein langes, gesundes Leben, und dass es uns nicht so gehen möge wie dem Patienten, dem der Arzt eine schlechte und eine gute Nachricht mitteilt: Die schlechte – er hat Alzheimer, die gute – bis er zuhause ist, hat er’s wieder vergessen.

(Fotos mit freundlicher Genehmigung von Prof. Christian Bruhn)

Weblink

http://www.ChristianBruhn.de

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