Begegnung mit einem Mörder. Die vielen Gesichter des Adolf Eichmann Hot
Hörspiel
Rückentext
1960 wird der unter falschem Namen in Buenos Aires lebende Adolf Eichmann vom israelischen Geheimdienst gefasst und nach Jerusalem überstellt. In den prozessvorbereitenden Verhören stellt sich Eichmann als gehorsamer Staatsdiener dar, der lediglich Befehle befolgte. Doch die Gespräche, die Eichmann unmittelbar vor seiner Verhaftung mit dem ehemaligen SS-Offizier Sassen führte, zeigen sein wahres Gesicht. Das herausragende Feature verbindet die bisher unveröffentlichten Mitschnitte des Polizeiverhörs erstmals mit O-Tönen aus dem Sassen-Gespräch. Ein Tondokument von großer Wucht und Eindringlichkeit.Hörspiegel-Meinung
Wir wissen: Es ist ein Feature über einen der skrupellosesten Mörder unserer Zeit. Wir wissen, es geht um Adolf Eichmann, den (wie der Spiegel ihn tituliert) „Chef-Logistiker des wohl größten Menschheitsverbrechens“. Doch was wir hier auf rauschenden Bändern hören, sind Mitschnitte eines stillen, beinahe harmonischen Verhörs Eichmanns in Jerusalem. Nachdem der israelische Geheimdienst ihn in Buenos Aires fassen konnte, wurde Eichmann vor einem israelischen Gericht der Prozess gemacht. Und mit den hierfür vorbereitenden Original-Verhörmitschnitten beginnt Jochanan Shelliems Audio-Feature.
Im Hintergrund: Vogelgezwitscher. Im Vordergrund: Eichmanns fast schon sanfte, brüchige Stimme, manchmal nach Fassung ringend. Seine Worte sind plakativ gekennzeichnet von Ekel vor und Unverständnis über die Abscheulichkeiten, die er als leitender Offizier der SS habe mit ansehen müssen, die er jedoch nie habe tolerieren können. Man mag als historisch nicht bewanderter Hörer nach dem ersten Drittel des Features glauben: Mensch, der arme Mann musste aber einiges über sich ergehen lassen, was er mit seinem eigenen Gewissen nicht vereinen konnte. Und genau hier liegt die gekonnte Verlogenheit Eichmanns. Er spielt hervorragend die Rolle des Opfers, des „Mittreibenden“, des „kleinen Rädchens“, des „braven Befehlsempfängers“ während er jedoch einer der Hauptverantwortlichen für die Verbrechen des dritten Reiches an den Juden war. Hier hat der Hörer selbst die Chance, sich zu testen, ob er selbst die Lügen Eichmanns am Ende erkannt hätte.
Wichtig für den Verständnisprozess des Hörers sind die eingespielten Experten-Kommentare, die die Zitate Eichmanns in regelmäßigen Abständen begleiten. Hier wird keine Meinung gebildet sondern an Hand der Fakten dargestellt, an welchen Aussagen Eichmanns man die Lügen erkennen kann.
Im Folgenden hören wir andere O-Töne Eichmanns. O-Töne, die ihn kurz vor seiner Verhaftung während eines Exil-Nazi-Treffs in Südamerika aufgenommen wurden. Und spätestens hier fällt der Schleier und Eichmann zeigt ein ganz anderes Wesen. Er ist hier der Hassprediger, dem man alles zutraut, nur nicht ein bloßer Befehlsempfänger zu sein. Diese Erkenntnis führt unweigerlich dazu, dass man unbedingt die ersten Tonbandaufnahmen noch einmal hören muss, um sich noch einmal selbst von Eichmanns Manipulationsfähigkeit zu überzeugen.
Das Bild, das man durch Shelliems Feature von Eichmann erhält ist das eines sehr gerissenen, perfiden Manipulators. Es ist das Porträt eines Machtmenschen, der sich nicht davor scheut, seine persönlichen Überzeugungen zu leugnen, wenn er sich einen persönlichen Vorteil hierdurch erhofft. Man muss jedoch dazu sagen, dass Eichmann zum Zeitpunkt der Verhöre akute Todesangst empfand. Umso erschreckender, wie schnell Eichmann sich seine Lügenwelt bis in kleinste Details hinein nahezu wasserdicht gestaltet und diese auch – auf den ersten, flüchtigen Blick - glaubhaft zu schildern vermag.
„Begegnungen mit einem Mörder“ ist vieles. Es ist ein emotional aufrührendes, historisches Dokument, es ist eine spannende psychologische Expertise und es ist darüber hinaus ein Lehrstück für eine von offenen Fragen und vielen Pausen gekennzeichnete Verhörtechnik. Denn selbst ein mit allen Wassern gewaschener Massenmörder wie Adolf Eichmann wurde am Ende von einem weitaus stärkeren Gegner als ihm selbst geschlagen: Von seiner eigenen, größenwahnsinnigen Selbstüberschätzung.
Dieses Audiofeature sollte man gehört haben. Es ist jedoch nicht geeignet für Hörer, die keine Details bezüglich der grausamen Massenmorde vertragen. Denn davon gibt es einige. Die musikalische Untermalung ist von einem Kammerorchester gespielt und wirkt teilweise wirr und hektisch, was sicherlich nicht immer jedermanns Geschmack ist.