Die Pranke der Natur [und wir Menschen] Hot
Hörspiel
Rückentext
Kurze Zeit, bevor das Erdbeben die Nordinsel von Japan um vier Meter versetzte, der Ausschlag war bis in die Schweizer Berge zu messen, hatte eine Forschergruppe an der Universität Sendai, die in derselben Präfektur wie das AKW Fukushima liegt, festgestellt, dass 1000 Jahre zuvor, nämlich im Jahre 869, bereits ein ähnlich schweres Beben, gefolgt von einem Tsunami stattgefunden hatte und dass – nach ihren Messungen – alle 1000 Jahre sich ein solches Unglück wiederholt. Wenige Wochen später erschütterten die Ereignisse in Japan die Welt.Wir Menschen sind auf diesen langen Atem der Natur und auch auf solche plötzliche Gewalt nicht vorbereitet. Es gibt aber menschliche Gemeinwesen und Menschen, die auf die Pranke der Natur achten und auf sie zu antworten wissen. So haben die Holländer ihr Land durch Dämme gegen die mordlustige Nordsee erfolgreich geschützt. Und so sind wir in der Lage, die Zeichen von Fukushima und auch von Tschernobyl wenigstens nachträglich zu lesen.
Hörspiegel-Meinung
Alexander Kluge – seines Zeichens Filmemacher und Autor – hat sich mit seinem Hörstück „Die Pranke der Natur [und wir Menschen]“ dem Thema Atomenergie und ihren Folgen gewidmet.
In kurzen Episoden, die in unterschiedlicher Machart aneinander gereiht sind (z. B. Vorlesung, Interview, gespielte Szenen, Zitate, akustische Diashow), spielt Kluge die verschiedenen Aspekte der Reaktorkatastrophen durch. Es ist nicht leicht, dem roten Faden zu folgen. Kluge durchwandert sein Thema künstlerisch und nicht immer direkt.
Das Fazit, das er zieht, ist erschütternd: Der Mensch baut Methoden aus, denen er nicht gewachsen ist. Er hantiert mit Risiken, die eine Halbwertszeit von einigen Hunderttausend Jahren haben. Und er tut dies in einer unvergleichlichen Blauäugigkeit. Wie am Beispiel von Japan anschaulich dargestellt. Ein Blick in die Vergangenheit hätte offenbart, dass in einer gewissen Regelmäßigkeit Erdbeben und Tsunamis in der Region Fukushima stattfinden. Und Kluge geht noch einen Schritt weiter. Er zeigt auf, dass dieses kurzfristige Denken auch andere Atomkraftwerke auf der Welt betrifft. So stünde die Wahrscheinlichkeit, dass Istanbul in den nächsten 10 Jahren von einem Erdbeben und einem folgenden Tsunami bedroht wird, bei ca. 60%. Erschreckend, da ein Atomkraftwerk mit weitaus geringeren Sicherheitsstandards als demjenigen in Fukushima im betroffenen Gebiet liegt. Warum also konzentrieren sich öffentliche Interessen nicht darauf, dieses Kraftwerk zu kaufen und somit abzuschalten? Wieso sehen die Regierungen der Welt an dieser Stelle nur zu, obwohl die nächste Katastrophe – unweit vom europäischen Zentrum entfernt – kurz bevorsteht?
Es ist schon sehr beängstigend, wie nah diese Hörspielszenen an uns heranreichen. Auch die humoristische Einlage von Helge Schneider lässt in diesem Kontext eher Gänsehaut entstehen als Belustigung. Die Musik von Gustav, Ikue Mori und alva noto wirkt fremdartig. Oder befdremdlich? Alles in Allem ist mir der Gesamtansatz dieses Hörstücks zu künstlerisch. Ich finde schwer Zugang. Dennoch kommt die Kernaussage ungemildert bei mir an: Stoppt den Wahnsinn!