City Burials

City Burials Hot

Alina Jensch   11. April 2020  
City Burials

Musik

Interpret/Band
Veröffentlichungs- Datum
24. April 2020
Format
  • CD
  • Download
  • Vinyl

Hörspiegel-Meinung

Gesamtwertung 
 
9,0

Pünktlich, vier Jahre nach dem letzten Album erscheint wieder ein neues der sympathischen, schwedischen Ausnahmeband. Und mit jeder Veröffentlichung fällt es schwerer einer neuen gelassen gegenüberzutreten. „The Fall Of Hearts“ war ein Meilenstein von Meisterwerk, da liegt die Messlatte verdammt hoch.

Vorab wurden bereits zwei Songs veröffentlicht, die völlig zurecht für Furore gesorgt haben und nicht gegensätzlicher hätten sein können: Das rein elektronische und sehr melancholische „Lacquer“ (ein bisschen im Geiste des Fanlieblings „Unfurl“ aus der „The Great Cold Distance“-Ära) und das von klassischem Heavy Metal inspirierte „Behind The Blood“. Letzteres dürfte Folge des Judas Priest Covers, mit dem die Band auf der vergangenen Tour die Massen zu begeistern wusste, sein. Trotz der großen Unterschiede klingen beide Songs ganz klar nach KATATONIA, was nicht nur auf das eingespielte Entwicklerteam aus Jonas Renkse und Anders Nyström zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass die Band schon seit ihrer Gründung gerne stilistisch experimentiert hat. Bloß so kontrastierend auf einem Album, statt wie bisher auf Singles, EPs und Bonustracks verteilt – das ist neu.
Ausgerechnet diese beiden Songs als Singles zu wählen erweist sich als weiser Schachzug, denn sie ließen herzlich wenig über das Gesamtwerk erahnen.

So zeigt sich erst mit dem packenden Aufmacher „Heart Set To Divide“, dass die Schweden kein abgedrehtes Potpourri aufgenommen haben, sondern nach wie vor an ihren Stärken festhalten und aus dem Vollen ihres mittlerweile umfangreichen Portfolios schöpfen. In der Hinsicht knüpft das Album gut an „The Fall Of Hearts“ an, auch wenn es wieder mehr Erinnerungen an „Night Is The New Day“ weckt. Auch das gewaltige „Rein“, das emotionale „City Glaciers“ und „Neon Epitaph“ verführen mit gekonnt umgesetztem Retro-KATATONIA-Charme. Besonders auffällig ist die Gitarrenarbeit, die schon immer essentieller Bestandteil dessen war, was die Band ausmacht – absolut überwältigend! (Nicht mehr ganz so neuer) Neuzugang Roger Öjersson beweist sich hier, neben Anders Nyström, als perfekte Wahl. In dem Zusammenhang seien „Flicker“ und „Untrodden“ lobend erwähnt. 
Doch es wird nicht nur geknüppelt und gesägt: Mit „Lachesis“ bringt das Album ein erschreckend kurzes, aber sehr atmosphärisches und vor allem melancholisches Stück. Deutlich länger fällt die schwermütige Ballade „Vanishers“ inklusive Gast-Duett aus, die auf den ersten Blick etwas aus dem Rahmen fällt und als einziger Song nicht so wirklich zünden will.
Abschließend muss noch das grandiose „The Winter Of Our Passing“ erwähnt werden. Mit der genau richtigen Mischung aus Atmosphäre, fetten Gitarren, wunderschönen Melodien und einem super eingängigen Refrain bleibt er sofort im Ohr im hängen und lässt einen noch Stunden später mit dem Kopf nicken. Ich fress' einen Besen, wenn das nicht der nächste Live-Hit wird.

Thematisch war Jonas Renkse noch nie für fröhliche Inhalte bekannt, auf „City Burials“ konzentrieren sich seine Texte aber verschärft und ziemlich direkt auf Verlust, Liebe und Tod – und so serviert der begnadete Sänger mit der Stimme aus Samt und Scherben ein weiteres Kapitel herzzerreißender Dunkelheit.

Ansonsten hat sich im Umfeld der Band personell etwas getan: Nach über zwanzig Jahren Zusammenarbeit stammt das Artwork erstmals nicht von Travis Smith sondern Lasse Hoile, dafür ist Keyboard-Experte Frank Default zurück – und mit Jacob Hansen gibt es einen neuen Produzenten.

Wie eingangs erwähnt tragen alle Songs dieselbe Handschrift und klingen ganz unverkennbar nach KATATONIA. Kaum eine andere Band schafft es, sich derart raffiniert weiterzuentwickeln und ein ums andere Mal zu überraschen, ohne sich dabei selbst zu verlieren.
Das Album ist so vielschichtig und detailverliebt, dass es sicher mehr als einen Durchlauf erfordert, um es richtig entdecken und begreifen zu können. Nicht, dass das neu für KATATONIA wäre.
Die Produktion lässt außerdem nichts zu wünschen übrig, übertrifft sogar noch die Erwartungen und zaubert ein immersives, geradezu unheimliches Klangerlebnis! An manchen Stellen hätte ich mir vielleicht sogar etwas Unvollkommenheit gewünscht.
Ansonsten ist es aus kosmetischer Sicht bloß schade, dass so ein großartiges Werk hinter einem solch uninspirierten, generischen Artwork versteckt wurde.

Die Band ist mutiger geworden und legt mit diesem Album noch eine Schippe drauf. Dass die Songs stärker in unterschiedliche Richtungen ausschlagen erweitert das stilistische Spektrum, macht aber die Einordnung dessen, was genau KATATONIA denn nun eigentlich machen, noch unmöglicher. Gleichzeitig manifestieren die Schweden ihr technisches Können, ihr stetes Streben nach Präzision und Perfektion, und natürlich ihre Vielseitigkeit.
Eine der größten Stärken des Albums ist, dass „City Burials“ sich niemandem anbiedern oder in seiner Unkonventionalität konventionell sein will, denn darin ist es schonungslos, ehrlich und unverhofft nahbar.

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