Vasmers Bruder Hot

Nico Steckelberg   11. März 2014  
Vasmers Bruder

Comic-Tipp

Autor(en) / Hrsg.
Zeichnungen / Paintings
Anzahl Seiten
176

Rückentext

Der Fall des Serienmörders und Kannibalen Karl Denke ist bis heute rätselhaft. Zwischen 1903 und 1924 hat er im schlesischen Städtchen Münsterberg (heute Ziebice) rund 30 Menschen getötet und zum Teil verspeist, und nur durch Zufall wurde er verhaftet. Bevor er jedoch verhört werden konnte, erhängte er sich in seiner Zelle. Seine Motive blieben im Dunkeln. Peer Meter, der bereits das Szenario zu HAARMANN schrieb, hat sich zusammen mit dem Zeichner David von Bassewitz, daran gemacht, auf Grundlage dieser Begebenheiten die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der über Denke forscht, sich aber während dieser Arbeit selbst verliert. Eine ebenso spannende wie düstere Geschichte, die erschreckt und fasziniert.

Hörspiegel-Meinung

Story/Inhalt 
 
7,0
Atmosphäre 
 
10,0
Zeichnungen 
 
9,0
Kolorierung 
 
7,0
Gesamtwertung 
 
8,3

Er ist ein so typisches Beispiel für missverstandene Verdrängungsbedürfnisse: Der Fall Karl Denke. In Münsterberg, das im ehemals deutschen Teil Schlesiens lag und heute den polnischen Namen Ziebice trägt, trieb der freundliche Eigenbrötler und brave Bürger sein Unwesen als „Kannibale“. Über 30 Menschen sind seiner Leidenschaft zum Opfer gefallen. Wie perfide und ekelhaft dieser Mann vorgegangen ist, beschreibt das Nachwort von Peer Meters Graphic Novel „Vasmers Bruder“. Hosenträge mit menschlichen Brustwarzen, ein Teich voller Leichenteile, Fässer mit Menschenfleisch in Sahnesoße, ein Gericht, dass seine Opfer offenbar vor ihrem Tod verzehren mussten. Daten, die Denke festgehalten hat: Das Gewicht der Opfer, gestaffelt nach „tot“, „nackend“, „ausgeschlachtet“. Unklar ist, ob er Menschenfleisch auf dem Markt angeboten hat. Seltsam, dass niemand Denke früher angezeigt hat, stank es in seinem Haus Ekel erregend und fanden Bedienstete Fleischstücke mit menschlichem Bauchnabel auf dem Küchentisch oder Daumen in Blumenbeeten. Sein Gemüse goss er oft mit „stinkendem Blutwasser“ und auf seinem Gartenteich schwammen Kleidungsstücke. Aber niemand wollte dem „braven Mann Ärger“ machen.

Hinein in diese Horrorwelt reist der Protagonist Martin Vasmer in Peer Meters Geschichte. Er versucht in der Jetzt-Zeit in Ziebice seinen verschollenen Bruder zu finden. Dieser recherchierte über den Serienmörder und ist nun verschwunden.

In äußerst düsteren Schwarz-Weiß-Bildern aus der Feder von David von Bassewitz stolpert Vasmer durch die polnische Stadt, die dem Leser ebenso fremd und bedrohlich vorkommt wie die unbekannte polnische Sprache, die Polizisten und Passanten sprechen. Die Stimmung ist extrem bedrückend, viele Bilder bestehen aus schwarzen Schatten mit dunkelgrauen Nuancen. Die Zeichnungen pendeln zwischen architektonischen Skizzen und fotorealistischen Gesichtsausdrücken, hervorragend gemacht.

Die 168 Seiten lesen sich wie im Fluge. Insbesondere die „Geschichte hinter der Geschichte“ im Nachwort hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Der Novel an sich verbindet Fiktion mit Realität, und selbst in der der fiktiven Realität gibt es einen doppelten Boden. Erst das Ende der Geschichte offenbart, weshalb Friedrich Nietzsches Zitat die Geschichte eröffnet: „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“

„Vasmers Bruder“ ist bedrückend, dunkel und erschreckend. Man würde sich wünschen, dass ein wenig weniger Realität hinter der Hintergrundgeschichte über Karl Denke steckt. Das ist leider nicht der Fall. Ein erschütternder Graphic Novel. Die Altersangabe "ab 14 Jahren" würde ich auf Grund des expliziten Inhalts so allerdings nicht unterschreiben. Wenngleich man "nicht viel sieht", spinnt das Kopfkino ohne unterlass bewegte Bilder des Grauens.

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