Harold Brodkey
"Unschuld"

© 2002 HörbucHHamburg
Rückentext:
Harold Brodkeys Erzählung "Unschuld" erreichte schnell einen gewissen Ruhm, beschreibt sie doch auf 54 Seiten minutiös die Bemühungen des Ich-Erzählers, die Studentin Orra Perkins zum ersten Mal in ihrem Leben zu einem Orgasmus zu bringen. Und der Ruhm dieser Erzählung ist gerechtfertigt, denn Brodkey hat mit ihr den Raum der Möglichkeiten, zugleich plastisch als auch reflektiert über Sexualität zu schreiben, enorm erweitert.

Hörspiegel-Meinung (ste):
Wie könnte man Harold Brodkeys Erzählung "Unschuld" besser beschreiben als mit drei Buchstaben: S.E.X.
Denn das ist das Thema, um das sich alle Gedankengänge des Ich-Erzählers drehen. Er trifft auf die bezaubernde und attraktive Orra, die zum Ziel seines Verlangens wird. Etwa das erste Drittel dieses faszinierenden Hörbuches aus dem Hause HörbucHHamburg befasst sich mit der Beziehung zwischen unserem Erzähler und seiner Orra, der Sexualität, die zwischen den beiden Menschen beinahe laut knistert. Der Rest des Buches beschäftigt sich quasi mit einer Situationsbeschreibung, in dem der Protagonist beschreibt, wie er seine Orra zum sexuellen Höhepunkt zu bringen versucht: In jedem noch so kleinen körperlichen und emotionalen Detail, mit allen vollzogenen Gedankengängen, bildlich dargestellt. Und das ganze in Echtzeit. Auf den Millimeter genau erfährt der Hörer, welche Ideen, ja welche Tricks der Ich-Erzähler anwendet, um seine Partnerin das erste Mal zu jenem intensiven Gefühl des sexuellen Höhepunktes zu bringen. Denn das hatte bislang noch keiner ihrer vorherigen Partner geschafft. Und dieses Ziel zu erreichen wird alsbald zum roten Faden der Erzählung.

Der Autor Brodkey schafft es, diese - sieht man es mal rein faktisch - vom Grunde her handlungsarme erotische Story nicht ins Billige, Pornographische oder gar Kitschige abdriften zu lassen. Der Hörer wird teil dieser Geschichte und darf erstaunt feststellen, wie offen und unverblümt Brodkeys Sprache seine Erzählung dem Ziel, dem Höhepunkt, dem Klimax näher bringt. Das Fehlen einer anspruchsvolleren Geschichte beeinflusst jedoch keinesfalls die Spannung und prickelnde Atmosphäre der Erzählung.
Dazu trägt auch die sehr gute Sprecherleistung bei. Gelesen wird "Unschuld" von dem mittlerweile verstorbenen Matthias Fuchs (Schauspieler und Sprecher, u.a. bei den Drei ???), der gerade in den eher "schwierigen" Passagen der Erzählung eine gute Arbeit abliefert. Man kauft Fuchs die Emotionen des Ich-Erzählers ab und zweifelt nicht ein einziges Mal an seiner Authenzität. Leider verstarb Fuchs drei Monate nach den Aufnahmen zu diesem Hörbuch. Unfassbar, wie lebendig und frisch er auf dieser Doppel-CD trotz seiner bereits fortgeschrittenen schweren Erkrankung klingt.

Letztendlich darf man über Brodkeys "Unschuld" sicherlich eines sagen: entweder man liebt es oder man hasst es. Frauen werden es lieben, allein schon auf Grund der Tatsache, es ggf. ihren Männern unter die Nase reiben zu können (nach dem Motto: "Hier! Hör Dir das an und lerne!" Wer weiß?). Bei Männern besteht aus demselben Grund die Gefahr, dass sie es ihren Partnerinnen vielleicht niemals vorspielen werden. Schade, denn sie hätten wahrlich etwas verpasst.
 

Hörspiegel-Skala:
1. Story
2. Atmosphäre
3. Sprecher
4. Soundtrack
5. Aufmachung
ENDERGEBNIS (gerundet)
(Nico Steckelberg, © 2003 Der Hörspiegel )