Katja Behnke verkörpert Anne, die selbstbewußte und zuverlässige Bibliotheksmitarbeiterin, die dem Opfer und Hauptdarsteller - Daniel - zur Seite steht. Ihre überzeugenden Dialoge führen auch dem nicht ganz so aufmerksamen Zuhörer das eigentliche Thema vor Augen: „Sie sehen, was sie sehen wollen“ und „lassen sich blenden“. Damit sind nicht nur die beiden Mitbewohner, Christian und Claudia, aus Daniels Wohngemeinschaft gemeint, sondern auch seine Eltern. Dem Grunde nach stellen Anne und Daniel aber auch dem Zuhörer die Frage, wo sich dieser im Strategiespiel um Gut und Böse sieht. Sind wir Handelnde, so wie Anne und Daniel, oder Spielzeuge des „Wolfs“, die darauf vertrauen müssen, dass jemand Ihnen die Augen öffnet, bevor auch sie zum Werkzeug des „Lebensdiebs“ geworden sind.
Die eigentliche Geschichte beginnt mit
einer Kette ungewöhnlicher und für den Zuhörer zunächst
unerklärlicher Vorfälle, rund um Daniel. Der junge Student der
Linguistik wird von Matthias Felling gesprochen. Seine offene und natürliche
Stimme macht es dem Hörer leicht, sich über Verwunderung bis
hin zu Wut und Entsetzen, mit den Gefühlen des Protagonisten zu identifizieren.
Eigentlich sollten die verschiedenen Kleidungsstücke, die Daniel seinen
Mitbewohnern überläßt, doch nur für sein lustiges
Geburtstagsgeschenk benutzt werden. Den Schneemann am Hintereingang des
Hauses hatte er schnell entdeckt. Alles völlig normal also; bis sich
Mantel und Co. plötzlich mitsamt Daniels mysteriösem Doppelgänger
selbständig machen.
Und schon beginnt die Schnitzeljagd mit
allerlei spannenden Fußangeln. Doch auch, wenn die einzelnen Ideen,
rund um Schneemann und Doppelgänger, nicht ganz neu sind und Ihren
tieferen Sinn erst in den folgenden Teilen der Hörspieltrilogie offenbaren,
kommt sicher keine Langeweile auf. Denn wer behauptet, amerikanische Filme
und Serien der 1980er Jahre hätten an Spannung verloren, kennt den
einfallsreichen Schwung eines MacGyver nicht, der auch hier unseren Hauptdarstellern
aus der Patsche hilft und sie letztendlich rettet.
Doch ist das Problem wirklich gelöst?
Die „Schattensaiten“ produzieren hier eine phantastische Trilogie. Da ist
zu erwarten, dass das Ende in gewisser Weise offen bleibt. Und so ist der
Verweis auf den zweiten Teil das logische Ergebnis; auch wenn Daniel und
Anne zunächst einmal durchatmen können. Der Hörer aber nimmt
schnell die zweite CD zur Hand, um mehr über „die Klänge der
Dunkelheit“ und die unvermeidlichen Beziehungen zwischen den Hauptdarstellern
zu erfahren.
Insgesamt ist „Der Schneemann“ ein rundum
gelungenes Hörspiel, das neben einem ansprechenden Äußeren
auch technisch ein hohes Niveau bietet. So wird „Der erste Kontakt“ zu
einem einladenden Ereignis, das beim Hören seine akustische Fortsetzung
findet. Vor allem die Stimme des Sprechers, Walter Blohme, passt hervorragend
zum Gesamtbild und wirkt fast klassisch. Der Schneemann, dem Marco Göllner
seine Stimme leiht, wirkt dagegen tatsächlich wie die Verkörperung
des sprichwörtlichen Bösen.
Auch den Toneffekten ist das Bemühen
um Authentizität anzumerken. Und abgesehen von dem etwas hellen Brechen
einiger Dachziegel, gibt es auch hier keinen Anlaß für negative
Kritik. So verwundert es den Hörer sicherlich nicht, wie detailgetreu
auch die Randhandlung recherchiert ist. Dies mag an der altersbedingten
Nähe der Sprecher zu ihren Figuren liegen. In jedem Fall wird der
Zuhörer glaubhaft in eine lebendige Studentenwelt versetzt.
Am Ende bleibt Annes Frage, ob man Christian
und Claudia ihre anfängliche Fixiertheit auf das „schöne Äußere“
übel nehmen kann, unbeantwortet und wird an den Hörer weiter
gegeben. Wie erwartet, ist die Konfrontation von Gut und Böse natürlich
unvermeidlich. Und weil selbstverständlich die richtige Seite gewinnt,
freue ich mich schon jetzt auf den zweiten Teil der Trilogie: hört
mit mir „Die Klänge der Dunkelheit“.
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story | ![]() |
2. Atmosphäre | ![]() |
3. Sprecher | ![]() |
4. Soundtrack | ![]() |
5. Aufmachung | ![]() |
ENDERGEBNIS (gerundet) | ![]() |
(Christian Kloer, © 2002 Der Hörspiegel )