Hörspiegel-Meinung (tw):
Ein interessantes, weil kurioses, aber
auch schwieriges Hörbuch liegt mir in Form von „Verschobene Kontinente“
vor. Auf vier CDs bekommt der Hörer einen Überblick über
die Kurzgeschichten des Autors Arno Schmidt aus den 50er Jahren geboten.
Die insgesamt 29 Geschichten werden abwechselnd von drei Vorstandsmitgliedern
der Arno Schmidt-Stiftung, namentlich Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach
und Jan Philipp Reemtsma vorgetragen, also von drei Kennern und Bewunderern,
die beiden letzten gar Literaturwissenschaftler. Es ist ihnen gelungen,
Arno Schmidts Erzählweise einem bisherigen Abstinenzler – der Name
war mir nicht einmal geläufig – nahe zu bringen und zum Abenteuer
der eigenen Lesung heraus zu fordern.
Der kurze Hinweis im Begleitheft, dass Schmidt 1955 der Gotteslästerung und Pornographie angeklagt wurde, gibt ebenso tief Aufschluss über die deutsche Kultur und Eigenwahrnehmung dieser Zeit, als auch über Schmidts Art, die Welt zu sehen, hinter die Fassaden des Biedermännischen zu blicken und es prosaisch zu ironisieren. Schmidt reagiert auf die zwanghafte Ordnung der spießbürgerlichen Gescheiten mit einem klaren Durchdringen ihrer Wesen Wort für Wort. Es ist schon erstaunlich, wie detailliert die Protagonisten in rund 8 bis 11 Minuten langen Geschichten anhand von kurzen, häufig ironisch-trockenen Hinweisen umrissen werden können, und wie fein sich einzelne Andeutungen zu einem amüsanten Konterfei – beispielsweise des redseligen Herrn Stürenburg (einer Figur, um die sich die acht Geschichten auf dem ersten Tonträger ranken) – verbinden lassen.
Schmidts Stärke liegt in der präzisen Beobachtung des Menschen, nicht um zu schreiben: der menschlichen Schwächen. Dabei ist er nicht bitterböse oder ausschließlich zynisch, sondern vielmehr erwecken die Geschichten den Eindruck, als hätten sie sich ihm so aufs Blatt gedrängt, wie er sie denn zu Papier brachte – sie ließen ihm gar keine andere Wahl.
Bei einer Auswahl von 29 Proben Schmidt´scher Erzählkunst (um solche handelt es sich ganz offensichtlich – nieder mit Bohlen!) fällt es mir nicht leicht, inhaltliche Schwerpunkte jenseits der Vieldeutigkeit von Gesprächsinhalten ausfindig zu machen. Die Art und Weise, wie Schmidt seine Figuren mit einander kommunizieren lässt, ist bar jeglichen zeitgenössischen Humors, teilweise so direkt, dass es derb wirkt und auch ist.
An etlichen Stellen schimmert wohl Autobiographisches durch, wenn Schmidt vom Buchliebhaber schreibt, oder wenn er Erinnerungen an Kriegserlebnisse von Protagonisten kurz Revue passieren lässt. Schmidt nimmt sich jedoch die Freiheit, selbst tragische Schicksalsschläge nur kurz an zu sprechen und dann den Leser – in diesem Fall den Hörer – allein damit zu überlassen. Diese Herausforderung sehnt sich nach der Stop-Taste des CD-Players, wenn schon die nächste Episode begonnen hat. Nicht selten schwingt in tragischen Missgeschicken ein humorvolles Wissen um menschliche Neigungen wie die hinter gespielter Empörung verborgene Sensationslust mit.
Dem Sprecher-Trio ist die Vertrautheit
mit und die Begeisterung für den Autor deutlich anzumerken. Joachim
Kersten erweist sich als der sympathischste Vorleser, scheint er doch tatsächlich
vor- und nicht nur für sich zu lesen. Engagement und Begeisterung
spiegeln sich in einem 36seitigen Begleitheft, in welchem die drei Initiatoren
persönliche Begegnungen mit Schmidt in Person und Werk dokumentieren,
wenngleich ich es als Unbedarfter schöner gefunden hätte, hier
ausführlichere Informationen zum Autor selbst zu finden.
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story(s) | ![]() |
2. Atmosphäre | ![]() |
3. Sprecher | ![]() |
4. Soundtrack | ![]() |
5. Aufmachung | ![]() |
ENDERGEBNIS (gerundet) | ![]() |