Hörspiegel-Meinung (ste):
Der Hahn ist tot:
"Der Hahn ist tot" ist für mich der
beste Roman der Krimi-Autorin Ingrid Noll. Denn hier sterben die Statisten
wie die Fliegen, ohne dass man als Leser sagen könnte, dass man nicht
genauso gehandelt hätte wie die Mörderin.
Die Mörderin heißt in diesem Fall Rosemarie Hirte. Doch Frau Hirte ist nicht als böser Mensch geboren, ganz im Gegenteil. Sie sehnt sich nach Liebe. Sie ist ja auch schon im besten Alter (über 50), und so langsam wird es ja mal Zeit. Und da kommt ihr der Lehrer und Buchautor Witold gerade recht. Rosi verliebt sich auf der Stelle in ihn. Das Problem: Er kennt sie nicht. Rosi belauert Witold bei sich zu Hause. Eines abends späht sie durch das Wohnzimmerfenster seines Hauses und erblickt ihn und seine Frau, die ihm eine Szene macht. Eine Pistole kommt ins Spiel, Witold drückt ab, die Frau fällt zu boden. Rosi betritt das Wohnzimmer, nimmt dem völlig verwirrten Mann die Pistole ab und bemerkt, dass seine Frau noch nicht tot ist. Und prompt erschießt Rosi sie.
Der erste zweckdienliche Mord soll wie Notwehr aussehen... und es gelingt. Doch bei einer Leiche soll es nicht bleiben. Wer immer sich Rosemarie Hirte in den Weg stellt, der spielt mit seinem Leben - und muss damit rechnen, dass sein Tod höchstens als Unfall zur Kenntnis genommen wird.
Ingrid Noll schreibt großartig. So viele interessante Charaktere auf einen Haufen gab es selten, und Rosis Beziehung zu jeder einzelnen wird so detailverliebt beschrieben, dass der Hörer am Ende wirklich nur sagen kann: jawohl! Diese Frau hätte ich auch umgebracht! Und den da auch! Und die hier... ??
Die Apothekerin:
Die Apothekerin Hella Moormann hat einfach
Pech mit Männern. Und weil geteiltes Leid halbes Leid ist, erzählt
sie ihrer Bettnachbarin im Krankenhaus die Geschichte ihrer gescheiterten
Liebschaften.
Hella verliebt sich in den Studenten Lewin und ist fortan mit ihm zusammen. Sein Großvater besitzt ein wunderbar großes Haus, auf das sein Enkel ein Auge geworfen hat. Ein weiteres Auge wirft er anscheinend auf die Haushälterin, die sexy aber doch eher unterbelichtete Margot. Der Großvater war stets skeptisch seinem Enkel gegenüber, daher ändert er immer öfter sein Testament. Doch Lewin will erben! Jetzt! Er nutzt die Gunst der Stunde, und ehe sich's Hella versieht, ist sie Mitwisserin eines heimtückischen Giftanschlags gegen den Opa, den sie sehr nett findet. Gift in der Zahnprothese - überaus außergewöhnlich. Und wirkungsvoll. Der Großvater stirbt. Doch das Testament fällt nicht zu Lewins Gunsten aus. Hella erbt alles unter der Voraussetzung, dass sie Lewin heiratet. Dies geschieht, doch andere Dinge geschehen. Lewin betrügt Hella mit Margot, Margots Mann wird aus dem Gefängnis entlassen. Hella verliebt sich in ihn. Alsbald erwartet sie ein Kind.
In dieser unglückseligen Konstellation
ist das Haus fortan besetzt. Bis Margot ganz plötzlich aus dem Fenster
fällt. Nicht ohne Mithilfe von Hella.
Ingrid Noll hat mit "Die Apothekerin"
eine verzwickte Vielecks-Beziehung beschrieben, die von Intriegen, Mord
und Lügen bestimmt wird. Sie beschreibt die Charaktere aufs Vortrefflichste
und schafft durch die Beschreibung von Hellas Gedankengängen eine
dichte Atmosphäre. Leider zieht sich die Geschichte im letzten Drittel
ein wenig, ohne dass etwas Entscheidendes oder Neues passiert. Fans von
Ingrid Noll werden sich freuen: die Bettnachbarin im Krankenhaus ist nämlich
niemand anderes als Rosemarie Thyra Hirte, bekannt aus "Der Hahn ist tot",
die bereits einige Morde auf dem Gewissen hat. Und auch für Hella
weiß sie zum Ende des Romans eine unkonventionelle Lösung für
ihr Problem.
Die Hörbuchbox:
Die beiden hervorragend von Silvia Jost
vorgetragenen Hörbücher erscheinen als Re-Release bei Diogenes
Hörbuch. Ursprünglich waren sie einzeln bei steinbach sprechende
bücher veröffentlicht worden. Diogenes veröffentlich beide
Hörbücher auf 2 MP3-CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 15 Stunden.
Zwei sehr kurzweilige Kriminalstücke, bei denen vor allem eines hängen
bleibt: eine unbändige Sympathie mit zwei Mörderinnen, denen
fast niemand auf die Schliche kommt.
Sehr empfehlenswert!
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story | ![]() |
2. Atmosphäre | ![]() |
3. Sprecher | ![]() |
4. Soundtrack | ![]() |
5. Aufmachung | ![]() |
ENDERGEBNIS (gerundet) | ![]() |