Ingrid Noll
"Rabenbrüder"

© 2003 Hessischer Rundfunk / Der Hörverlag
Rückentext:
Eine undurchschaubare Mutter, zwei gegensätzliche Brüder und eine zickige Schwiegertochter treffen sich zum Totenschmaus, nachdem ihr Vater das Zeitliche gesegnet hat. Bald taucht jedoch die Frage auf, ob sein Ableben wirklich mit rechten Dingen zuging. Haben nicht etwa einige seinen Tod insgeheim gewünscht?

Hörspiegel-Meinung (ste):
Paul und Achim kann man durchaus als „Rabenbrüder“ bezeichnen. Hier und da ziehen sich Intrigen durch ihre gemeinsame Zeit der Jugend, und heute haben sie wenig Kontakt zueinander. Als der Kontakt wieder hergestellt wird, stirbt der Vater. Das Erbe steht an. Und auch die Mutter hat so ihre Eigenheiten. Will heißen: Wer mit dieser Familie nicht viel zu tun hat, der kann froh sein.
Aber auch bei Paul zu Hause läuft alles nicht so wie es laufen sollte. Er betrügt seine Frau mit einer alten Schulfreundin von ihr. Er weiß jedoch nicht, dass seine Frau Wind von der Sache bekommen hat. Und so kommt es, wie es kommen muss: seine Frau nähert sich ebenfalls einem anderen Mann: Pauls Bruder Achim. Als jedoch zwei weitere Personen sterben, werden Paul und seine Frau Annette mißtrauisch. Irgend etwas stimmt hier nicht. Es geht anscheinend um das Erbe... und um die moralische Aufarbeitung eines ganzen Lebens.

Kein vorheriger Roman von Ingrid Noll war bislang so vertrackt wie „Rabenbrüder“. Der Hörer erlebt die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, mal aus Pauls Sicht, mal aus Annettes. Hierdurch ergibt sich ein interessantes Informationsgeflecht. Der Hörer weiß, was Paul weiß, und der Hörer weiß, was Annette weiß. Doch Paul und Annette wissen vieles nicht voneinander. Und es ist wahrlich köstlich, mitzubekommen, wie der eine oder die andere immer näher an die Wahrheit herankommen. Dies ist Frau Noll unheimlich gut gelungen. Während in ihren bisherigen Romanen die Morde, deren Motive und die anschließende Vertuschung im Vordergrund standen, so scheinen mir hier die Beziehungen der Charaktere untereinander sehr viel weiter im Vordergrund zu stehen. Sie sind um einiges weiter ausgeprägt als die der vorherigen Noll-Charaktere. Ingrid Noll kennt ihre Figuren in- und auswendig. Und man merkt, wie viel Spaß es ihr macht, mit ihnen zu spielen, sie Dinge tun zu lassen.

„Rabenbrüder“ ist von der Idee und von der Schwärze her betrachtet sicherlich her nicht der beste Noll-Roman. Allerdings vom Charakter-Design her unschlagbar!

Gelesen von Rainer Bock, erschienen im Hörverlag. "Rabenbrüder" erscheint auf zwei Doppel-CDs in einem stilvollen Pappschuber.
 

Hörspiegel-Skala:
1. Story
2. Atmosphäre
3. Sprecher
4. Soundtrack
5. Aufmachung
ENDERGEBNIS (gerundet)
(Nico Steckelberg, © 2004 Der Hörspiegel )