Hörspiegel-Meinung (tw):
Erwin Chargaff lesen zu hören, mag
erschütternd sein. Das Hörbuch mit Auszügen aus „Das Feuer
des Heraklit“ ist ein Dokument von historischer Bedeutung, denn es erhält
die dichterische Sprache und Mundart eines Mannes, in dem sich die verhängnisvolle
Wissenschafts- und Menschheits-Geschichte des 20. Jahrhunderts durch sein
eigenes Verstrickt-Sein und Durchschauen eingebrannt und Narben hinterlassen
hat, die sich in Wahl und Klang der Worte spiegeln. Der ehemalige Biochemie-Professor
und Entdecker der Basenkomplementarität der DNA gilt nicht nur als
entscheidender Wegbereiter der heutigen Genforschung wie -technik, sondern
seit bald drei Jahrzehnten als deren schärfster und fundiertester
Kritiker. Chargaff übt Wissenschaftskritik aus persönlicher Betroffenheit,
menschlicher Weitsicht und mit einem feinfühligen wie seltenen philosophisch-dichterischen
Verständnis, für welches er in unserer flüchtigen Postmoderne
nicht mit Verständnis rechnen darf. Gebrochenheit und ein vornehmer,
bescheidener Stolz klingen in den Worten des 95jährigen Autors an,
welcher eine Reihe ausgewählter Kapitel zur Aufzeichnung in seiner
New Yorker Wohnung vorlas - im Hintergrund ist mitunter der Straßenlärm
der Großstadt zu vernehmen, die Moderne lässt selbst hier keine
Ruhe.
Wer Erwin Chargaff nur oberflächlich zuhört, mag ihn unzeitgemäß nennen, vielleicht sogar als einen verbitterten Zyniker bezeichnen. Wer sich jedoch etwas Zeit nimmt, wird in ihm einen zum Kampf entschlossenen Warner erkennen, der wichtige Fragen an eine Menschheit richtet, die in seinen Augen mehr als nur am Abgrund wandelt. Was hat die heutige „Wissenschaft“ noch mit der ursprünglichen Neugier gemein? Was haben wir seit Hiroshima gelernt - oder: haben wir überhaupt gelernt? Zwischen den Zeilen verbergen sich zuweilen Welten, wenn Chargaff in schlichter und schöner Sprache - die heute zwangsweise ein wenig fremdartig wirken muss - seine Erinnerungen vorträgt. Wer sich den Aufzeichnungen nicht wie ein „Gebildeter“ oder gar „(Literatur-/Wasauchimmer-)Kritiker“ nähert, der mag tiefe menschliche Rührung empfinden.
Das Hörbuch enthält ein Begleitheft mit einer biographischen Skizze und ist ansprechend gestaltet.
(Anm. d. Red.: Keine Wertung, da besonderer
Klassiker-Status!)
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story(s) | ![]() |
2. Atmosphäre | ![]() |
3. Sprecher | ![]() |
4. Soundtrack | ![]() |
5. Aufmachung | ![]() |
ENDERGEBNIS (gerundet) | ![]() |