Hörspiegel-Meinung (ste):
„Zeit der Unübertrefflichkeit“ ist
ein Hörspiel, das man nicht so leicht vergisst.
Es beginnt mit einer kurzen, ernsten Titelmelodie,
gefolgt von dem Geräusch einer Eisenbahn, das unverkennbar auf die
geschichtsträchtige Lokation der Handlung verweist: ein Konzentrationslager.
Und schon beginnt eine Geschichte, die
so pervers, so erschreckend und bedrückend wie genial und abgrundtief
hässlich ist. Erzählt wird das fiktive Erlebnis des KZ-Insassen
Schadrach, seine Folter durch den KZ-Arzt Dr. Skindal, berichtet aus der
Sicht des Unterlegenen, des, wie er sich selbst bezeichnet, „Untermenschen“.
Gleich zu Beginn erfährt der Hörer,
dass es sich bei der Erzählung ursprünglich um einen Brief handelt.
Den Brief des Häftlings an den Kommandanten, an den Leiter des Lagers.
Es ist die Rede von einem „vorzüglichen
Scherz“, es erklingen Worte der Dankbarkeit. Doch schnell wird Ihnen bewusst:
hier stimmt etwas ganz und gar nicht.
Beschrieben werden Schadrachs Eindrücke
und Gefühle, als er ein Zimmer betritt, in dem er auf den Lagerarzt
Dr. Skindal warten soll. Er beschreibt den Raum. Seltsame Tapeten, seltsame
Lederstühle...
Alsbald betritt Dr. Skindal das Zimmer
und der vorgelesenen Brief entwickelt sich zu einem Dialog zwischen Häftling
und Arzt, der intelligenter und erschreckender nicht sein könnte.
Konrad Halver (langjähriger Winnetou-Sprecher und Regisseur dieses
Hörspiels) als Schadrach und Matthias Fuchs (bis zu seinem Tod Erzähler
der „Drei ???“) liefern sich eine wortgewandte aber dennoch so ungleiche
Diskussion, deren Ergebnis scheinbar kein anderes sein kann als Schadrachs
Tod. Warum nun soll Schadrach sterben? Das Menschenzimmer, wie Dr. Skindal
es beschreibt, ist beinahe fertig; es wird ein Geschenk an den Herrn Kommandanten.
Es fehlt nur noch ein Stück Tapete. Ganz langsam wird dem Hörer
bewusst, dass es sich um keine gewöhnliche Tapete handelt. In diesem
Raum ist alles aus Mensch. Hauttapeten, Knochentische, Menschenleder-Sessel.
Schadrach weiß nun, was er hier soll, dennoch versucht er aus der
aussichtslosen Lage eines zum Tode Verurteilten heraus weiter zu diskutieren,
immer mehr, nur nicht aufhören zu reden. Und schnell wird klar: Skindal
erwartet, dass Schadrach sich geehrt fühlt, an diesem Menschenzimmer,
an diesem Geschenk für den Kommandanten, mitzuarbeiten.
Durch diverse Zufälle kommt es doch
nicht zu Schadrachs Tod, auch wenn bereits so mancher Tropfen Blut geflossen
ist und (was viel schlimmer scheint) Schadrach den permanenten Hauch des
Todes verspürt.
Ich darf dem oberpfälzer Autor Wolfsmehl
gratulieren. Ich habe selten solch interessante und wohl formulierte Dialoge
gehört, noch dazu so brillant umgesetzt von Halver und Fuchs. Ich
frage mich, wie lange an diesen Sätzen gefeilt wurde.
Musikalisch ist „Zeit der Unübertrefflichkeit“
eher schlicht ausgefallen, mit Stücken von Bizet und Mahler, aber
auch eher selten. Nichts lenkt den Hörer von der Brutalität und
Kälte des Dr. Skindals ab.
Ich fühle mich in der Erzählweise
und Machart an Edgar Allen Poes „Die Grube und das Pendel“ erinnert. Auch
dort schildert der Gefolterte im Nachhinein aus seiner Sicht, welche seelischen
Qualen er während seiner Folter durchzustehen hatte, und wie es letztlich
zu seiner Rettung kam. Wolfsmehl belebt diesen Gedanken mit neuer Energie
wieder.
Wie gesagt: Nichts für Hörer
mit schwachen Nerven. Mit der Frage, ob Sie diese Erzählung ethisch
vertreten können, sollten Sie sich jedoch selbst auseinander setzen.
Doch selbst wenn Sie zu einem negativen
Ergebnis kommen, ist „Zeit der Unübertrefflichkeit“ absolut empfehlenswert,
allein schon wegen der brillanten Sprecherleistung, der wohl durchdachten
Dramaturgie und vor allen Dingen wegen der hochkarätigen Dialoge.
Kaufen!
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story | |
2. Atmosphäre | |
3. Sprecher | |
4. Soundtrack | |
5. Aufmachung | |
ENDERGEBNIS (gerundet) |
(Nico Steckelberg, © 2002 Der Hörspiegel )