Hörspiegel-Meinung (ste):
Das unentdeckte musikalische Genie Johannes
Elias Alder wäre heute wohl jedermann ein Begriff, ähnlich wie
Mozart oder Bach, wäre diese traurige Geschichte nicht so verlaufen,
wie sie letztendlich geschah.
Der Roman "Schlafes Bruder" von Robert
Schneider spielt im 19. Jahrhundert in dem rückständigen vorarlbergischen
Dorf Eschbach. Hier ist die Zeit stehen geblieben, in jeglicher Hinsicht.
Religiöse Vernarrtheit steht Inzest und Lasterhaftigkeit gegenüber.
Als der Hauptdarsteller Elias geboren
wird, scheint die eingefrorene Welt noch in Ordnung zu sein. Nicht schön,
sondern hässlich, aber zumindest in Ordnung. Dass Elias nicht von
dem Mann seiner Mutter sondern vom Pfarrer gezeugt wurde, lassen wir einmal
dahingestellt sein.
Elias ist auf viele Arten anders als die
anderen Kinder des Dorfes, und so wird er schlagartig in einer Nacht zum
Mann. Seine Stimme reift, seine Augen verfärben sich gelb. Doch noch
etwas geschieht: Johannes Elias Alder hat fortan ein Gehör wie es
seinesgleichen sucht. Zum ersten Mal hört er den Herzschlag seiner
Cousine Elsbeth, von der er weiß, dass er sie liebt. Das kuriose
ist, dass sich Elsbeth noch als Ungeborenes im Leib ihrer Mutter befindet.
Elias wird fortan gemieden und von seinen
Eltern eingesperrt. Lediglich sein Cousin Peter schätzt ihn und verliebt
sich alsbald in ihn.
Und so entwickeln sich die Charaktere
weiter: Elias wird zum orgelspielenden Gott, Peter zum Brandstifter, Elsbeth
zu einer begehrenswerten jungen Frau. Unendlich traurig, wie manche Menschen
hier ihr Schicksal, ihr jähes Ende finden.
Jede Handlung ist in irgend einer Weise
mit einer anderen Handlung verknüpft. Und man fragt sich unweigerlich:
wie kann man ein solches Gewirr aus Unwahrheiten, Verhältnissen, schrecklichen
und wundersamen Ereignissen schaffen, wie es Robert Schneider hier gelungen
ist?
Über "Schlafes Bruder" kann man ganze
Abhandlungen schreiben, und viele haben es bereits getan. Meine Beschreibung
wird der Komplexität des Inhalts nicht einmal annähernd nah.
Man muss es selbst gelesen haben, um es zu verstehen. Nun, entweder gelesen
oder gehört haben!
Denn "Schlafes Bruder" gibt es als Hörbuch-Lesung
aus dem Hause Steinbach Sprechende Bücher. Der ungekürzte Roman,
vorgelesen von Fritz Hammel.
Der Sprecher schafft es, durch seine Stimme
einen authentischen Flair in die Erzählung mit einzuflechten. Nicht
zuletzt, weil er mit Dialekt spricht. Doch wirklich warm bin ich mit Fritz
Hammel nicht geworden. Eindringlich ja, doch zu distanziert die Lesung,
und zu emotionslos.
"Schlafes Bruder" kommt in einer umfangreichen
6-CD-Box, aufgemacht mit dem Motiv des Taschenbuchcovers. Ansonsten ist
die Aufmachung sehr schlicht ausgefallen.
Aber schließlich ist es der preisgekrönte
Inhalt das, was zählt: pervers, abstrus, obszön, verwundernd,
erleuchtend, faszinierend und begeisternd. Ein (Hör-)Buch, das in
keiner Literatursammlung fehlen darf!
Hörspiegel-Skala: | |
1. Story | ![]() |
2. Atmosphäre | ![]() |
3. Sprecher | ![]() |
4. Soundtrack | ![]() |
5. Aufmachung | ![]() |
ENDERGEBNIS (gerundet) | ![]() |